Freitag, 9. September 2011

The Ghan

Adelaide ist für mich eher ein uncharmanter Verkehrsknotenpunkt als ein lohnenswerter Zwischenstopp. Zwar checke ich hier endlich mal in ein akzeptables Hostel ein (die neuseeländischen Standards haben mich offenbar verwöhnt), dafür gibt es in der Stadt (zumindest an einem Tag mit mangelnden Energieressourcen) nicht allzu viel zu erkunden. Mir hängt die Müdigkeit und Anstrengung der letzten vollgepackten Tage in Melbourne und auf der Great Ocean Road Tour noch in den Knochen. Ich kann mich lediglich zu einem kurzen Stadtbummel und einem Glas Wein in der Bar neben unserem Hostel aufraffen. Das Nachtleben haben die Mädels von der Tour und ich schon an unserem Ankunftsabend ausgecheckt und für ziemlich enttäuschend befunden: Trotz Wochenende kaum Bars geöffnet bzw. geschäftig und die Mallorcastimmung auf der Kneipenmeile war nun wirklich nicht nach meinem Geschmack. Kein Vergleich zu meinen Erfahrungen in Sydney und Melbourne. 

Also schnell weiter - und zwar mit dem Zug!
Um es gleich vorweg zu nehmen: 25 Stunden Zugfahrt, das ist wahrlich kein Pappenstiel. Es geht schon mal damit los, dass der Shuttlebus, den ich von meinem Hostel aus gebucht habe, gar nicht erst aufkreuzt. 15 Minuten lasse ich verstreichen, steige trippelnd von einem Fuß auf den anderen, dann werde ich nervös und nehme ein Taxi zum Bahnhof. 20 Minuten vor angegebener Abfahrtszeit des "Ghans" begrüßt mich der Kofferjunge mit den Worten "We have to hurry up!" Na so was, denke ich, da scheint das Zeitmanagement der Deutschen Bahn einiges bei mir angerichtet zu haben. 
Die Tür zu meinem Waggon ist tatsächlich schon versperrt, sodass ich mit Sack und Pack am anderen Ende des Zuges einsteigen und mich dann durch alle anderen Personen-, Güter- und Speisewagen bis zu meiner Sitzreihe kämpfen muss. Schnaufend wuchte ich meinen Rucksack auf die Gepäckablage und lasse mich in den breiten Sessel fallen. Gerade noch geschafft. Denn nun bekommen die 47 Passagiere unseres Waggons eine wortreiche, mit breitem Ozzi-Akzent vorgetragene Sicherheitseinweisung von dem Schaffner mit Cowboyhut. Damit auch ja jeder die Toilettentür verriegelt und es zu keinen ungeplanten Freizügigkeiten kommt, wurde vor der Automatiktür noch ein Vorhang angebracht. 

"im Falle eines Druckverlustes ziehen Sie bitte die Sauerstoffmasken zu sich hin"

gerade noch den "last boardingcall" geschafft

Abfahrt 12.20, Ankunft 13.45 am nächsten Tag
 
Schmunzelnd lehne ich mich zurück und verbringe die nächsten Stunden abwechselnd lesend, dösend, Musik hörend und snackend. Neben mir sitzen zwei junge Aborigini-Mütter mit drei kleinen Kindern, mindestens eines davon noch im Nuckel- und Windelalter. Ich stoppe die Zeit: Genau eine Stunde und 50 Minuten, nachdem wir in Adelaide losgefahren sind, fängt das erste Geschreie und Geheule an. Die Kinder turnen auf dem Boden, ihrem Müttern, meiner Armlehne und im Gang rum. Ich stöpsele meinen MP3-Player ein und schaue aus dem Fenster. Schnell stelle ich fest, dass Australien viel grüner ist, als ich es mir vorgestellt hatte. Die weiten Felder erinnern mich streckenweise sogar an deutsches Ackerland. Aber: Es ist ja auch Winter! Kurz vor Sonnenuntergang werden dann auch die Blätter und Halme zusehends brauner und die Landschaft eintöniger. 

erstaunlich grün
 
Sonnenuntergang in der Wüste

Gegen sechs Uhr kommt die Lautsprecherdurchsage, dass nun eine warme Mahlzeit im Speisewagen angeboten wird. Große Unruhe, viel Getrampel, die Toilettenlampe neben dem Vorhang leuchtet durchgehend. Zwei Stunden später wird das Licht ausgeschaltet. Wie bitte? Das ist ja nun ein wenig übertrieben, oder? Ich bin noch hellwach und vertrete mir lieber die Beine, anstatt jetzt schon die Augen und Ohren zuzukneifen. Als ich zurück in unseren Waggon komme, bin ich erschlagen von der stickig-stinkingen Luft. Schon von der Tür aus kann ich riechen, dass das Aborigini-Baby eine neue Windel braucht. Als Mama mit dem kleinen Scheißerchen zum Klo unterwegs ist, geht das Licht plötzlich wieder an. Eine Stunde später wieder Licht aus. Hin, her, her, hin. 
Unbeeindruckt mache ich die Beine lang, bette meinen Kopf auf dem aufblasbaren Nackenkissen und nicke weg. Nachts wache ich auf, weil der Zugführer endlich die Klimaanlage, dafür aber viel zu kalt eingestellt hat. Fröstelnd zerre ich meinen Schlafsack von der Gepäckablage und schlafe wieder ein. Gegen neun Uhr morgens wird es geschäftig. Meine Knie schmerzen und mein linker Fuß ist angeschwollen - obwohl ich brav das Zehenalphabet in die Luft geschrieben habe. Inzwischen ist der muffige Geruch fast unerträglich. Gut, dass wir gegen Mittag aussteigen dürfen. Draußen sieht es genauso aus wie gestern Nachmittag: roter Sand, helle Büschel, knallblauer Himmel. Weit und breit nichts zu sehen als Wüste. Kein Dorf, kein Bahnsteig, nichts. Wahnsinn. Endlich bekomme ich ein Gefühl für die Größe Australiens und die unglaubliche Entfernung von 2000km, die ich innerhalb von einem Tag zurücklege. 

Outback

ausgetrocknetes Flussbett
 
Dann taucht Alice Springs, das Ziel meiner Reise, wie eine Geisterstadt aus dem Nirgendwo auf. Wie kommt man denn bitte darauf, hier zu leben? Das muss ich in den nächsten zwei Tagen auf jeden Fall rausfinden. Jetzt erst einmal Beine bewegen und duschen. "Eine Zugfahrt, die ist lustig", brumme ich vor mich hin und stolpere erschöpft auf den Bahnsteig, der aus Staub und 30 Grad im Schatten besteht.

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