Dienstag, 26. April 2011

Mt. Cook

Obwohl Ruth, Patrick und ich verabredet haben, heute mal ein bisschen frueher aufzubrechen, kommen wir doch erst wieder um zehn Uhr los. Patrick troedelt wie immer und Ruth hat sich eine ordentliche Mandelentzuendung eingefangen. Vom Lake Tekapo rufen wir den naechstpraktizierenden Arzt an (40 km entfernt) und muessen erfahren, dass der fuer die komplette naechste Woche keine Termine mehr frei hat. Kein Wunder bei so einem grossen Einzugskreis...
Dann bleibt uns wohl nichts anderes uebrig als "zurueck zu Plan A", auf zu Mount Cook. Die Fahrt dahin offenbart grossartige Aussichten auf den milchigblauen Lake Pukaki und die Southern Alps - trotz Wolken, die fest zwischen den Bergen eingeklemmt sind. Immerhin zwischendurch koennen wir sogar den Gipfel von Neuseelands hoechstem Berg im Sonnenlicht glitzern sehen. Dessen 3754 Meter sind tatsaechlich gewaltig. Ab und zu muss ich vor lauter Begeisterung scharf bremsen, sodass der Kies unter unseren Reifen knirscht und sich die Gelegenheit fuer ein Foto bietet. Vor lauter "WOW"en faellt es mir schwer, mich auf die Strasse und aufs Atmen zu konzentrieren. Einfach toll! 




 


Selbst das Visitor Centre im winzigen Mt. Cook Village ist eine Klasse fuer sich: lichtdurchflutet, modern, hervorragendes Informationsangebot und blitzblankgeputzte Panoramafenster. Leider gibt es im Doerfchen am Ende der Mount Coook Road, einer 40km langen Sackgasse, nur zwei Hostels - beide gnadenlos ueberteuert. Wir entscheiden uns daher, nur eine kuerzere Wanderung zum Kea Aussichtspunkt, dem Gletscher und einer Swingbridge zu machen. Leider ist Ruth gesundheitlich so angeschlagen, dass mehr Laufen heute nicht drin ist. Die Nacht wollen wir im anderthalb Stunden entfernten Omarama verbirngen.








Ganz verzaubert von unserem Wintermaerchen trudeln wir in der Buscot Station, unserem Hostel in Omarama ein. Das Bauernhaus liegt romantisch inmitten gruener Wiesen, orangebelaubter Baeume und sanfter Berghuegel. Dass Eigentuemer Tony ein grosser Deutschland-Fan ist, ist kaum uebersehen. Sei es der Willkommensgruss, die Beschriftung der Abfalleimer oder die Hinweise zur Wassernutzung - alles ist auf deutsch, nur selten mit einer englischen Uebersetzung ergaenzt. Englaender Tony ist ganz stolz auf seine Sprachkenntnisse und macht keinen Hehl aus seiner Bevorzugung der deutschen Backpacker. Ein wenig verschroben und nicht besonders gastfreundlich Ruth und anderen internationalen Touristen gegenueber, finde ich. Dennoch mal wieder eine "echte Marke", die ich hier kennengelernt habe. Und schliesslich ist Reisen - im Gegensatz zur Mount Cook Road - keine Einbahnstrasse. Munter rattert Ruth die von mir gelernten Sprichwoerter runter: "Was geht, Digga? Alles klar? Das Leben ist kein Ponyhof", ruft sie. "Stimmt genau", entgegnet Tony. Patrick und ich koennen uns ein Grinsen nicht verkneifen.




Sonntag, 24. April 2011

Methven & Lake Tekapo

Ich habe meine Plaene, von Christchurch ueber Arthur's Pass zur Westkueste zu fahren, ueber den Haufen geworfen und mache mich stattdessen mit Ruth und Patrick auf den Weg nach Methven, einem Wintersportoertchen zwei Stunden suedlich von Christchurch. Das hat mehrere Gruende:

1. Das Wetter eignet sich nicht gerade, um die hochgelobte Strecke durch die Berge wirklich geniessen zu koennen.
2. Gegen Wochenende wollen wir in der Studentenstadt Dunedin (Ostkueste) gemeinsam mit Ruth' Freund Sam in die Semesterferien feiern.
3. Die Gletscher an der Westkueste laufen mir nicht weg und sind im Winter vielleicht sogar noch schneeiger  als jetzt und daher sehenswerter.

Da ich Ruth bei meiner Autoversicherung als zweite Fahrerin angemeldet habe, kann ich das Steuer beruhigt aus der Hand geben. Schoen, sich mal nicht aufs Fahren konzentrieren zu muessen. Bevor wir nach Methven fahren, nehmen wir die Abzweigung zum Lake Coleridge, den man nur ueber Schotterpiste erreichen kann. Bereits die Landschaft auf dem Weg dahin rechtfertigt den Umweg. Auf den Bergspitzen des Skigebietes Mt. Hutt liegt bereits eine betraechtliche Menge an Schnee, im Tal leuchten die herbstfarbenen Laubbaeume.
Lake Coleridge zeigt sich sanft und rau zugleich. Sanft passt er sich in die Berglandschaft ein, rau praesentiert er seine Wasseroberflaeche. Ganz schoen (windig) hier!







 
Zurueck geht es durch Coleridge Village mit geschaetzen 50 Einwohnern, das mit seinem Energiekraftwerk und der einen verlassenen Dorfstrasse zu horrorfilmartig erscheint, um auszusteigen. Wir haben jede Menge Spass, uns Splatterszenarios vorzustellen, waehrend wir ueber die Landstrasse nach Methven heizen. Das 1000-Seelen-Oertchen hat richtig viel Charme, besonders die Holzhuetten, der blaue Pub und das Wintersportbekleidungsgeschaeft, das seine handgeschriebenen Oeffnungszeiten fuer diese Woche an die Ladentuer gehaengt hat (heute bereits geschlossen, am naechsten Tag von zwei bis vier Uhr nachmittags geoeffnet). Unser Hostel, das "Alpenhorn Chalet", ist ein echtes Sahnestueckchen. Mit 28$ zwar eine der teuersten, aber auch eine der schoensten Unterkuenfte, in denen ich bisher genaechtigt habe. Es gibt kostenloses Internet, eine dicke Katze, die sich versonnen auf Patricks Schoss raekelt, einen Wintergarten und eine Kueche voll von Gewuerzen, Walnuessen und Keksen zum allgemeinen Verzehr. Nachdem wir einen Spaziergang durch die Innenstadt gemacht haben, machen wir Nudelauflauf und waermen die Fuesse am Kaminfeuer.








Die Aenderung meiner Reiseroute scheint mich mehr aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben als ich zunaechst vermutet haette. Nachts traeume ich davon, bereits im Juni von Queenstown nach Hause zu fliegen, ohne den beruehmten Milford Sound und die Gletscher gesehen zu haben. Merke: auf keinen Fall verpassen.
Auf unserer Route zum Lake Tekapo passieren wir Geraldine, wo wir Pralinen und heisse Schokolade naschen, den weitweit groessten Wollpullover bestaunen, im Stadtmuseum an einer alten Telefonschaltanlage herumstoepseln und in der Molkerei bei der Kaeseproduktion zuschauen.


 
Lake Tekapo liegt mitten im Nirgendwo. Obwohl gerade mal 315 Einwohner, ist der Ort ein Touri-Hotspot. Zurecht, wie ich finde. Das leuchtende Tuerkis des Sees ist einfach umwerfend. Durch die milchige Konsistenz des Wassers wird das Sonnenlicht besonders gut reflektiert. Ruth und ich machen den vielen Brautpaaren Konkorrenz, die sich in der am Ufer stehenden Church of Good Shepherd die Klinke in die Hand geben. Patrick mimt waehrenddessen lieber den braven Collie.












Nachdem wir in die "Lakefront Lodge" mit den grossen Panoramafenstern eingecheckt haben, fahren wir zum Mt. John Obervatorium, von dem wir eine fabelhafte Aussicht auf Lake Tekapo, Nachbarsee Lake Alexandria, die umliegende Wuestenlandschaft und die Southern Alps haben. Definitiv eines der schoensten Panoramen, die ich auf meiner Reise durch Neuseeland bewundern durfte!





bitte keine Aliens!

Dienstag, 19. April 2011

Christchurch

Nachdem ich am Morgen von einer netten Konditorin Tipps zum Brotbacken bekommen habe (Koerner ueber Nacht einweichen, bevor sie in den Teig kommen; Haferflocken als Alternative zu Leinsamen und Sonnenblumenkernen; in welchem Supermarkt gibt's das beste Vollkornmehl?), fahren Patrick und ich zur Erdbebenstadt Christchurch. Auf der Landstrasse lasse ich Patrick ans Steuer und kann zur Abwechselung mal die Aussicht geniessen und Sun (eigentlich Suraj, das heisst Sonne), dem Nepali, den ich vor einigen Wochen kennengelernt habe, eine "Wir sind bald da"-SMS schreiben.
Suns Studentenwohnheim liegt zum Glueck nicht im CBD, im Central Business District, das immernoch vollkommen abgeriegelt ist. Unser Sonnenschein nimmt uns mit zum Unicampus, wo wir die direkten und indirekten Auswirkungen des Erdbebens vom 22. Februar 2011 sehr plastisch zu Gesicht bekommen. Zu vielen Gebaeuden ist der Zugang gesperrt; mitten auf dem Campus steht ein riessengrosses Zelt, in dem die Vorlesungen abgehalten werden. In den Hauswaenden sind grosse Risse, die Bodensteinplatten sind verschoben und gebrochen. Vor der Eingangstuer zu Suns ehemaligem Ingenieurstrakts liegen immernoch dicke Glasscherben. Die Gartenbeete sind voellig verwildert, die Cafeteria geschlossen, an jedem Aufzug haengt ein Schild, das darueber informiert, ob der Aufzug benutzt werden kann oder nicht. Die Toiletten sind Dixieklos gewichen. Sun und seine Mitbewohner mussten bis letzte Woche noch jeden Tropfen Wasser aus dem Hahn vor dem Verzehr abkochen. Von einem so gewaltigen Beben mit einer Staerke von 6.3 auf der Richterskala in der Zeitung zu lesen, ist bedrueckend. Vor Ort zu erleben, was es bedeutet, in einer zerstioertem Stadt zu leben, ist etwas voellig anderes. Sun erzaehlt von einigen Maedchen, die mitten waehrend der Vorlesung bei einem der taeglichen Nachbeben in Traenen ausgebrochen sind; er selbst wirkt eher sarkastisch. Anstatt sich vor Angst verrueckt zu machen, macht er sich lieber einen Spass daraus, die Staerke der Nachbeben moeglichst genau zu bestimmen. "Mmmh, also, das war jetzt irgendwas zwischen 3,2 und 3,6. Ich tippe mal auf 3,3", meint er wenig spaeter. Ich habe den "aftershock" noch nicht mal wahrgenommen.





Freiluft-Pissoir

 Nach unserer "Devastation-Tour" fahren Patrick, Sun und ich zum Flughafen, um Ruth, meine ehemalige Mitbewohnerin aus Taupo, abzuholen. Das zweite Wiedersehen an diesem Tag tut mir richtig gut. Ich, merke, wie wie schoen es ist, Ruth endlich wieder um mich zu haben. Ihr Humor und diese optimistische Leichtigkeit sind wirklich eine Wohltat!

Tags drauf machen Patrick, Ruth und ich uns auf den Weg zur Banks Peninsula, einer Halbinsel in der Naehe von Christchurch. Unsere drei Reiserucksaecke, die Einkaeufe und Tonnen an Kartenmaterial und Reisefuehrern passen so gerade eben ins Auto - fuer mehr waere aber definitiv kein Platz. Mein Zelt und die Isomatte habe ich fuer unseren "Wochenendausflug" bei Sun gelagert. Der muss vor dem "Easterbreak" leider noch ein paar Tests schreiben und kann uns daher nicht begleiten. Bis zu dem Oertchen Akaroa fahren wir ohne Pause durch Nieselwetter. Zeitweise ist es sogar so suppig, dass ich den Nebelscheinwerfer anschalten muss. Verschleiert kann ich schoene Buchten und Fjorde erkennen, aber anhalten lohnt sich bei diesem Mistwetter wirklich nicht. In Akaroa hat jedes Geschaeft und Hostel einen franzoesischen Namen und niedliche Schlaglaeden. Das "Bon Accord", in dem wir heute uebernachten, ist super gemuetlich mit Kaminfeuer und Walnuessen zum Selberknacken. Neben Brotbacken (bei dem ich natuerlich die kuerzlich erhaltenen Tipps anwende) und Cafebesuch kommen wir heute nicht mehr zu viel. Am spaeten Abend spielen wir mit dem Kiwi Bradon eine Runde Billiard im Pub gegenueber.

das absolute"Wunsch-Wetter" fuer einen Wochenendausflug

Leider hat sich das Wetter ueber Nacht eher verschlechtert als verbessert. Ruth und ich laufen ueber den stattlichen Wochenmarkt (je ein Marmeladen-, ein Brot-, ein Kuchen-, ein Kaese- und ein Obststand) und ich quetsche den Marmeladenverkaeufer mindestens eine viertel Stunde ueber die verschiedenen Bezeichnungen (marmelade, jam, jelly, pickle, chutney) und Zubereitungsweisen (Fruechte schaelen oder nicht, aussieben oder nicht, schnell oder langsam erhitzen), aus. Ich stelle fest, wie sehr ich mich seit meinem Job als Kuechenhilfe im Cafe fuer's Kochen und Backen begeistern kann. Scheint so, als haette ich ein neues Hobby! Nach einem "unforgettable" Museumsbesuch und dem "schwersten Puzzle der Welt" (zweiseitig mit dem gleichen kleinteiligen Suchbild bedruckt, 90 Grad versetzt) schnappen Patrick und ich uns die Gitarre im Bon Accord und ich bekomme meine erste Uunterrichtsstunde. Ich uebe Noten, Tonleitern und Akkorde, pauke die Saiten wie Englischvokabeln: e a d g h e (meine Eselsbruecke: ein Anfaenger, der Gitarre holprig einstudiert). Mannomann, das Greifen einzelner Saiten ist ganz schoen schwierig. Irgendwann wird mir bewusst, dass alle anderen bereits ins Bett gegangen sind, waehrend ich an meiner Feinmotorik gearbeitet habe. Laechelnd lege ich die Gitarre weg und lasse die Puzzleteile von der Tischkante in den Karton fallen. Zumindest den Rahmen und einige Anschlussteile haben wir zusammenbauen koennen. Mir wird bewusst, dass ich in den gesamten vier Jahren meines Studiums niemals auf die Idee gekommen ware, ein neues Instrument zu erlenern oder ein Puzzle anzufangen. Viel zu viel Stress, Zeitdruck und Muedigkeit. Wenn ich mal eine freie Minute hatte, habe ich sie in soziale Beziehungen oder Erholungsschlaf investiert. Mein Entspannungsgrad scheint zur Zeit unheimlich hoch zu sein.

the smallest market in the world

"better than Te Papa", "the best $4.00 spend this holiday": Akaroa Museum

Ruth puzzelt sich die Finger wund

Am naechsten Morgen waehrend ich meine Schuessel Muesli loeffele, brummt ploetzlich der Boden. Ich hoere die Erde wackeln. Ein leises Klirren in der Kueche, ein lautes Luftanhalten im Wohnzimmer. Keiner bewegt sich, keiner schreit, alle warten darauf, dass es wieder aufhoert. Es fuehlt sich seltsam vertraut an, als wuerde vor der Haustuer ein schwerer LKW vorbeidonnern. Das Beben dauert gerade mal ein paar Sekunden. Wie wir spater im Internet nachlesen, hatte es eine Staerke von 5,2. Per SMS erfahre ich von Sun, dass in Christchurch der Strom abgeschaltet wurde. Bei einer Staerke von ueber 5 geschieht das automatisch. Schon seltsam, dass diese bedrohlichen Situationen fuer die Bewohner von Christchurch nun zum Alltag gehoeren. Ich frage mich, ob ich mit der staendigen Sorge um Nachbeben und einstuerzende Gebaeude leben koennte. 
Auf dem Weg zurueck nach Christchurch fahren wir eine Runde durch das Oertchen Lyttleton, das  Epizentrum des grossen Erdbebens im Februar. Obwohl es ja eigentlich nicht anders zu erwarten war, schockt uns die Atmosphaere in der Geisterstadt, in der sogar noch mehr Truemmer, Zauene und Absperrbaender zu sehen sind als im zerstoerten Christchurch. Ziemlich bedrueckt lassen wir das einst sicher sehr schoene Hafenstaedtchen hinter uns.






Als Schlecht-Wetter-Programm gibt es Fish & Chips von Suns Lieblingsimbiss, die Erkundung der groessten Shoppingmall auf der Suedinsel und einen Laptopfilm. Als wir alle gemeinsam auf Suns grossem Bett rumluemmeln, fuehle ich mich so wohl wie bei einem Abend mit alten Freunden. Wir kichern, kuscheln, albern und diskutieren. Ploetzlich komme ich mir nicht mehr wie ein heimatloser Backpacker vor, sondern wie ein Nomade, der nach langer Zeit endlich wieder ein "Zuhause" gefunden hat.