Montag, 21. Februar 2011

Rotorua

Auf meinem ersten Roadtrip mit eigenem Auto moechte ich so viele Seitenstraesschen und Aussichtspunkte wie moeglich mitnehmen. Den ersten Stopp mache ich beim Mount Rainbow und laufe 15 Minuten bis zum Aussichtspunkt auf einen gruenlichgelben Schwefelsee. Als naechstes nehme einen kleinen Umweg in Kauf, um zum Lake Okaro zu gelangen. Wieder ein kurzer Stopp, dann geht's weiter ueber windige Strassen, immer deutlich unter dem Tempolimit von 100km/h. Wer hier so schnell faehrt, ist selber schuld. Es gibt doch so viel Schoenes zu entdecken...



Bevor ich die Abzweigung in Richtung Rotorua nehme, fahre ich zum Whakarewarewa Forest und mache eine anderthalbstuendige Wandertour. Der "Redwoods-Track" fuehrt mich vorbei an den maechtigen Rothoelzern, durch Wiesen und Felder, kreuzt immer mal wieder die Mountainbike- und Reitwege, fuer die dieser Waldpark besonders bekannt ist (ich bevorzuge dennoch die Fortbewegeungsmethode auf zwei Beinen), und ermoeglicht den freien Blick auf Rotorua und den Thermalpark Te Puia. Puenktlich zum Ausbruch des Geysirs schaffe ich es zum Lookout und mache ein kleines Picknick. Ein Logenplatz fuer umsonst, waehrend der Eintritt in den Park knapp 100$ kostet (inklusive Maorivorstellung und Erdofen-BBQ). Leider faengt es zu regnen an und ich muss mich ein wenig beeilen, um nicht klatschnass am Auto anzukommen. Dann - typisch neuseelaendisches Wetter - reisst der Himmel wieder auf und es wird warm.




Ich fahre weiter zu den Blue und Green Lakes. Die Seen sind zwar in Privatbesitz, neuseelaendisches Recht verbietet es jedoch, Grundstuecke abzuriegeln oder Besucher zu vertreiben. Spazierengehen darf man ueberall. Ich fahre noch ein Stueckchen weiter auf der "dead end road" und entdecke den wunderschoen ruhigen Lake Tarawera, der sich als Kratersee an die umliegenden Vulkane schmiegt. Ich fuehle mich unheimlich wohl, will gar nicht wieder weg: diese Abgeschiedenheit und friedvolle Einsamkeit - toll. Irgendwann reisse ich mich los und trudele endlich im "Central Backpackers" in Rotorua ein (nach 80 zurueckgelegten Kilometern und knapp fuenf Stunden).



Am naechsten Tag mache ich mich frueh auf die Socken und nehme an einer Fuehrung durch das Museum of Art & History teil. Mein Guide, eine sehr britische aeltere Dame, fuehrt uns durch das ehemalige Badehaus, ein eindrucksvolles Gebaeude im Tudorstil, und erlaeutert die ausgefallenen Therapien, die Anfang des 20. Jahrhunderts hier angewendet wurden (unter anderem in Badewannen verabreichte Elektroschocks). Von der Plattform auf dem Dach geniessen wir den Ausblick auf Lake Rotorua und die spiessig-englischen Government-Gardens, in denen weissgehuetete Herrschaften "Rasenbowling" spielen. Dann sehen wir einen sehr originell gestalteten Film ueber die Geschichte Rotoruas und den Ausbruch des Tarawera-Vulkans. Ich erkenne meinen Lieblingssee sofort wieder.


Nachmittags mache ich einen Stadtspaziergang durch den dampfenden und stinkenden Kuirau-Park zum Maoridorf Ohinemutu. Ich besichtige die Anglican Church, die es faszinierenderweise schafft, europaeische und neuseelaendische Maorikultur architektonisch zu verbinden.




Beim Abendessen lerne ich die freundliche Hollaenderin Janneke kennen. Wir entscheiden spontan, zusammen einen Tortellini-Gemuese-Auflauf (was man halt so da hat) zu kochen und quatschen bis zum Muedewerden. Der naechste Tag bringt Spitzenwetter und entschaedigt fuer den vermasselten Auftritt von gestern. Ich nutze die Zeichen des Himmels und komme ihm ein Stueck entgegen - per Gondel. Bei Skyline Skyrides buche ich drei Abfahrten auf der Sommerrodelbahn. Auf der ersten Fahrt ueber die "scenic route" krabbeln mir tausend Ameisen durch die Finger, weil ich den Lenker des Schlittens noch sehr fest umklammere. Dann geht es mit dem Sessellift wieder hinauf, eine gute Gelegenheit um ein wenig zu plaudern und die Aussicht auf den Lake Rotorua zu geniessen. Beim zweiten Anlauf geht es auf der Fortgeschrittenenstrecke talwaerts. Jetzt habe ich den Dreh raus und sause in zuegigem Tempo um die Kurven. Das is oa Moardsgaudi! Die letzte Abfahrt auf der Profi-Route geht viel zu schnell vorbei, ich koennte hier den ganzen Tag rodeln.








Weil ich von den 16 Lakes der Region noch nicht genug gese(h)en habe, fahre ich zum Lake Okataina und laufe durch den Regenwald immer am Wasser entlang. Nach einer Weile entdecke ich eine einsame Badebucht, in der ich mindestens eine halbe Stunde rumduempele und mir den nackten Hintern verbrennen lasse - muss man schliesslich auch mal gemacht haben, finde ich. Und wenn nicht hier, wo denn sonst?

Dienstag, 15. Februar 2011

Whakatane, White Island

Fuer die grossgewachsene Dame im blauweissen Segeleroutfit ist es nicht das erste Mal. Kuehlen Blickes schiebt sie eine einseitige Erklaerung ueber Sicherheitsrisiken und Rueckerstattungsklauseln ueber die Theke. Ich darf unterschreiben und bezahlen oder Widerspruch einlegen und gehen. Ich bleibe. Als "Ticket" bekomme ich ein Metallhuetchen in die Hand gedrueckt, das ich beim Einstieg in das Touriboot wieder abgebe. Wenigstens einmal umweltfreunlich mitgedacht. An Bord spreche ich einen Jungen auf seine professionnell aussehende Kamera an. Joern aus Stuttgart, ein angehender Fotograf, und Nina aus Hamburg, eine angehende Journalistin, das passt gut zusammen, finden wir.


Fruehstuecks(ver)staerkung

bei Wind und Wetter

Reporterteam

Nach anderthalb Stunden erreichen wir White Island. Die Pazifikinsel ist die aktivste vulkanische Region in ganz Neuseeland. Schon von weitem sehen wir eine dicke Rauchsaeule aufsteigen. In einem kleinen Beiboot werden wir grueppchenweise an Land gebracht. Ab jetzt gilt Helmpflicht. Das Aufsetzen der Gasmakse dagegen ist freiwillig. Wem's hier zu sehr stinkt, der darf Gummiluft atmen und zuckrige Bonbons lutschen. Unser Guide Kent, ein Psychologiestudent aus Hamilton (NZ), der sich mit diesem Sommerjob sein Studium finanziert, fuehrt uns vorbei an Schlammtuempeln, schwefelgelbem Gestein und dampfenden Erdloechern. Er weist uns auf die seismographischen Messgeraete hin, Kameras, die alle 15 Minuten ein Bild machen, spindelduerre Metallstaebe und jede Menge Markierungen. Im Jahr 2000, als es diese ausgefeilte Technik noch nicht gab, kam der Ausbruch des Vulkans fuer die Natuerwissenschaftler noch ueberraschend. Heute, elf Jahre spaeter, koennen sie anhand kleinster Veraenderungen in der Erdbeschaffenheit innerhalb weniger Minuten dafuer sorgen, dass die ganze Insel gesperrt und alle sich noch dort befindenden Personen evakuiert werden.

Helmparade

Mondlandschaft

Suesser Geschmacksverstaerker

Chemieunterricht mal anders

Schaulustige

Atembeschwerden

Rauchzeichen

Konstruktionsfehler

Schwefelbad

Nach dem Rundgang auf dem Eiland gehen einige der Tourteilnehmer im Meer schwimmen. Ich schaue auf das trueb gelbliche Wasser und ruempfe angesichts des Schwefelgestanks die Nase. Nee, das muss nicht sein. Das unterhalte ich mich lieber mit Kent ueber moegliche Masterarbeitsthemen. Nachdem die letzten geruchstauben Schwimmer wieder an Bord geklettert sind, fahren wir los. Der Himmel ist aufgeklart und wir koennen einen letzten Blick auf die Vulkaninsel werfen.

Fernsicht

Natur setzt sich durch

Abschiedsgruss

Irgendwann wird das Boot langsamer. Ueber Lautsprecher kommt die Durchsage, dass Zwergwale gesichtet wurden. In der Ferne entdecken wir drei nacktglaenzende schwarze Flossen, kommen aber nicht wirklich nah an die scheuen Tiere heran. Der Haufen luftanhaltender Zweibeiner scheint ihnen nicht ganz geheuer zu sein. Wir drehen ab und nehmen wieder vollen Kurs auf. Inzwischen brennt die Sonne unerbittlich. Joern und ich holen gerade unsere Sonnencreme raus, als ploetzlich jemand etwas von "dolphins" ruft. Erst einige Meter entfernt, dann ganz nah am Boot sehe ich sie. Familie Flipper scheint nicht ganz so schuechtern wie ihre Saeugetierkollegen. Wir quetschen uns vorne an den Bug und beobachten, wie die Tiere ein Stueck mit uns schwimmen. An Bord ist es ganz still geworden. Ich hoere nur das Platschen des Wassers und die klickenden Spiegelreflexkameras. Unser Kapitaen gibt ein wenig mehr Gas und die Delphine halten mit. Mindestens sechs oder sieben schwimmen mit dem Boot um die Wette. Mich durchstroemt ein unglaubliches Gluecksgefuehl. Ich feuere den Frechdachs der Truppe an: "Spring, Flipper, spring!" Er fuehlt sich ermunternt und fliegt dem Boot voraus. Nach einer Weile machen sich die ersten Tuemmler davon, bis schliesslich auch den letzten und hartnaeckigsten die Lust verlaesst. Tschuess, ihr Lieben, vielen Dank fuer die beeindruckende Vorstellung!








Zurueck im Hostel "Windsor", das seinem Namen alle Ehre macht und sich seniorenfreundlich gibt, entscheide ich, dass jetzt der richtige Moment fuer eine Abkuehlung gekommen ist. Zuerst fahre ich zu einem typischen Ostkuestenstrand (weit, weit, weit), dann nehme ich mir ein Bier aus der Kuehltasche in meinem Kofferraum und laufe am Hafen entlang bis zur Statue von Wairaka, der Namensgeberin fuer die Stadt Whakatane. Als vor ueber sechs Jahrhunderten das Kanu der ersten Siedler Neuseelands die Flussmündung des Whakatane Rivers erreichte, gingen die Maenner von Boot, um das Land zu erkunden. Das schlecht vertaeute Kanu trieb aufs offene Meer hinaus und drohte, an einem Felsen zu zerschellen. Die Frauen waren starr vor Angst; ihnen war es verboten, Maennerarbeit zu verrichten und das Kanu zu steuern. Wairaka, die Tochter des Haeuptlings rief "kia whakatāne au i ahau" - ich will stark wie ein Mann sein. Sie ergriff das Ruder und steuerte das Kanu sicher an Land. Heute Abend schaut Wairaka stolz von ihrem Felsen aus gemeinsam mit mir in den Sonnenuntergang. Prost, du tapfere, starke Frau. Auf einen gelungenen Tag.





Mittwoch, 9. Februar 2011

Mobilitaetspaket

An einem meiner letzten Tage in Taupo habe ich (eine potentielle Autokaeuferin) mich mit Adam (einem potentiellen Autoverkaeufer) verabredet. Hoert sich nach zwei passenden Gegenstuecken an, jetzt muss nur noch das Verbindungsteil, ein 1999er Hyundai Accent, seinen Charme spielen lassen. Als ich nach schier endloser Sucherei in der bruetenden Mittagshitze endlich die Hausnummer 151 (de facto Hausnummer 51, erste Parzelle) gefunden habe, sehe ich das Objekt der Begierde bereits in der Einfahrt stehen. Adam, ein echter Baer von einem Kerl, reicht mir schuechtern die Hand und murmelt ueberfluessigerweise "Yeah, that's the car." "Ah, that one?", erwidere ich ebenfalls ueberfluessigerweise. Adam und ich, wir sind naemlich beide ein bisschen nervoes.
Ich darf sofort auf den Fahrersitz huepfen (denk dran, Nina, rechte Seite!) - Adam mag es nicht, lange um den heissen Brei herum zu reden, er ist ein typischer Neuseelaender, ein Mann der Tat. Behutsam manoevriere ich den Wagen durch den Kleinstadtverkehr zum Hostel, wobei ich versuche, gleichzeitig auf Fahrtuechtigkeit, Bremsverhalten und Motorgeraeusche sowie die seltsamen neuseelaendischen Vorfahrtsregeln zu achten (rechts vor links, trotz Linksverkehr).
Tikichef Darren hat mir versprochen, ein Auge auf das Auge zu werfen und nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Er wirft sich auf den Boden, robbt um das Auto rum, prueft Oelstand (per Augenschein und Geruch!), Reifenprofil, Motor und Ersatzreifen (gute Idee...). Um nicht voellig tatenlos daneben zu stehen, schaue ich mir die Wischerblaetter an, teste die Klimaanlage und das Radio - muss ja auch alles funktionieren, ne? Adam merkt, dass ihm mit Darren ein ernstzunehmender Verhandlungspartner gegenuebersteht und bietet an, am kommenden Werktag die WOF (Warrent of Fitness, entspricht dem deutschen TUEV) und alles dafuer Noetige zu besorgen (und zu bezahlen). Gegebenenfalls will er sogar noch mit dem Preis runtergehen. Ich versuche, nicht allzu offensichtlich zu zeigen, dass ich mich schon jetzt in das Auto verliebt habe und hoffe im Stillen auf ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk.

Abends lerne ich beim Pfannkuchenbacken (und -teilen) "Sun" aus Nepal kennen. Ein sehr netter Sonnenanbeter, der froh ueber die "erste richtige Mahlzeit seit zwei Tagen" ist. Zusammen mit Lucy und unseren zwei neuen Zimmermaedchen aus Frankreich gegen wir aus. Es ist immernoch furchtbar schwuel. Sun und ich ueberlegen uns jeden Tanzschritt zwei Mal, um nicht noch mehr als ohnehin schon ins Schwitzen zu kommen. Gegen zwei Uhr werde ich unheimlich muede und will nach Hause. Auf dem Weg kauft uns Sun Tankstellenpies und Cookies. Im TV-Raum mampfen wir die mirkowellenwarmen Koestlichkeiten. Nach und nach trudeln die anderen Heimkehrer (Victor aus Frankreich, Jani aus Finnland und Alexander aus Suedafrika) ein. Wir fuehren eine bizarre, aber sehr amuesante Unterhaltung ueber orthopaedische Fussprobleme, bis wir um vier Uhr entscheiden, dass es nun wirklich Zeit fuers Bett wird.

Zwei Tage spaeter meldet sich Adam - er hat die Garantie fuer die naechsten sechs Automonate bekommen und will sich mit mir zum "Change of ownership" (zum Verkauf) treffen. Wir einigen uns auf 1350$, 150$ unter dem Erstangebot. Ich ziehe das Geld am Automaten, weil die Schlange in der Bank bis auf den Gehweg hinausreicht und ich ein wenig spaet dran bin. Die Maschine spuckt die gesamte Summe in 20$-Scheinen aus. Mit dem dicken gruenen Geldbuendel an Dollarnoten hetze ich zum AA Shop, dem neuseelaendischen ADAC, der Autokaeufe abwickelt. Adam ist schon vor Ort, hat sich seine Mittagspause frei gehalten, um die Sache unter Dach und Fach zu bringen. Auf dem einzeitigen Formular muss ich lediglich meine Identifaktionsdaten angeben (nein, der INTERNATIONALE Fuehrerschein wird nicht akzeptiert, nur der Reisepass) und unterschreiben. Als Bestaetigung fuer den erfolgten Eigentuemerwechsel bekomme ich von Adam die Schluessel und von der Dame hinterm Schalter einen Minischnipsel Papier in die Hand gedrueckt. Das war's. Ich bin stolze Besitzerin eines neuseelaendischen Mobilitaetspakets. Wunderbar! Jetzt brauche ich nur noch einen Versicherung. Beim AA faellt mir die Kinnlade runter, als die Dame fuer sechs Monate eine Summe von 680$ ausrechnet. Atemlos bitte ich um Bedenkzeit und kontaktiere alle moeglichen Versicherungsanbieter. Schlussendlich zahle ich fuer das gleiche Paket (Third Party) 180$.
Am nachsten Tag wechselt mir Mitbewohner und Adoptivbruder Mike noch einen Reifen, bei dem das Profil nicht mehr tief genug ist. Ich schaue ganz genau zu, nur fuer den Fall, dass... Nach zehn Minuten ist die Sache geritzt, ich bin begeistert. Obwohl ich auf den Tag meiner Abreise hingefiebert habe und mich riesig darauf freue, endlich wieder zu reisen, fuehlt es sich dann doch komisch nach, nach zweieinhalb Monaten Taupo zu verlassen. "Nix da, Nina, jetzt bloss keine kalten Fuesse kriegen", blaeue ich mir ein, "keine Ausreden!". Meinen letzten Arbeitstag habe ich bereits hinter mich gebracht, alle Umtaeusche bzw. Reperaturen  (Armbanduhr, Handy) abgewickelt und mich von Ruth, Lucy, Mike, Elliot, Jason, meinen Kollegen und Herbergseltern verabschiedet. Auf mich warten die Ostkueste der Nordinsel, viele neue Bekanntschaften und ein voellig neues Freiheitsgefuehl. Ich kann fahren, wohin ich will; anhalten, wann immer ich will und mitnehmen, wen ich will. Das wird toll! Tschuess, Taupo, mach's gut!


Abschiedsdrink mit Lucy

Abschiedsumarmung von Mike

Abschiedsgrinsen mit Ruth


Miiiiiiike! Mach das bloss richtig!
 
erdbeerduftender Wegbegleiter (Geburtstagsgeschenk von Lucy und Ruth)
 
Liebe auf den ersten Blick
 
los geht's!



Sonntag, 6. Februar 2011

Hinter den Kulissen (Teil 2)

Ein frisch gebackenes Toertchen, hausgemachter Kuchen und liebevoll zubereitete, nahrhaftgesunde Gerichte. Eine Versuchung, ein Genuss, ein Traum - im wahsten Sinne des Wortes...

Es folgt ein Insiderbericht aus dem Leben einer Kuechenhilfe:

1. Aufgaben-/Rollenverteilung
In einer Grastrokueche gibt es eine klar struturierte Arbeitsverteilung, die in der Regel auch die Befehlshierarchie wiederspiegelt.
Der (in diesem Fall eine "die" - was ich sehr begruesse!) Kuechenchef(in) ist hauptverantwortlich fuer alles, was die Kueche verlaesst. Ist das Steak medium anstatt durch, das Essen nicht schnell oder heiss genug oder fehlt eine Komponente, muss Kathy dafuer geradestehen. Und wenn sich das Unmoegliche, das absolute No-Go, der kulinarische Supergau ereignet, wenn der Gast im Essen etwas findet, was dort definitiv nicht hineingehoert, ein Haar, eine Eierschale oder (und ja, auch das ist leider vorgefallen) eine Scherbe, dann verlaesst der Kapitaen seine Bruecke und begibt sich mit demuetig gesenktem Haupt hinaus aufs offene Meer, um sich dem Sturm von Beschimpfungen, Klagen und Drohungen zu entgegenzustellen.
Platz 2, 3 und 4 in der Rangfolge einer Kuechenhiercharchie nehmen die kleinen Kochelfen ein (Rick, Holly und Tracey), die wieselgleich von einem Teller zum naechsten springen und vom Beilagensalat  ueber  Fish 'n Chips bis hin zur Suppe alles herbeizaubern muessen, was von der Chefin verlangt wird.
An unterster Stelle steht der weithin bekannte Tellerwaescher, der es wohl in den seltestensten Fallen zum Millionaer schafft, vielmehr als verbitterter, rueckenkranker Fruehpensionaer endet, der sich beim Heben der Geschirrcontainer und dem staendigen Buecken ueber das viel zu niedrige Spuelbecken im Alter von 23 Jahren einen Bandscheibenvorfall zugezogen und diesen niemals wirklich hat behandeln lassen, weil er nach einer zehn-Stunden-Schicht viel zu kaputt (und ausserhalb der Oeffnungszeiten einer Praxis) war, um zum Arzt zu gehen. Wenn der "Dishwasher" "seine" Teller schnell genug sauber und trocken bekommt (oder sich jemand erbarmt, um ihm mit "seinem" Geschirr zu helfen) und wenn er sehr viel Glueck hat und an eine Kuechenchefin wie Kathy geraet, dann darf er hin und wieder mal weg vom Spuelbecken und ran an die Lebensmittel: riesengrosse Backbleche mit zu 90 Prozent aus Schwarte bestehendem Speck belegen, Gemuese schnibbeln, Kartoffeln klein schneiden (nein, diese werden hier nicht geschaelt), einfache Gerichte zubereiten, die Auslage mit Backwaren, Sandwiches und Salaten auffuellen. Genau dieses Glueck hatte ich.

2. Umgangston
Es wuerde wohl niemanden verwundern, wuerde ich an dieser Stelle von blaffenden Chefs und Kollegen berichten, die anstatt "bitte" und "danke" lediglich die Woerter "schnell" und "jetzt sofort" beherrschen. Und genau so habe ich den Umgangston in einer deutschen Restaurantkueche erlebt, in der ich gluecklicherweise nur als Kellnerin von Zeit zu Zeit einen Fuss gesetzt habe. 
Aber: Es geht auch anders. Kaum zu glauben, dass sich in der Kueche des Taste-Cafes, 10 Roberts Street,  Lakefront, Taupo, Neuseeland, eine Kommunikation etabliert hat, die von Respekt und Hoeflichkeit gepraegt ist.
Ausnahmen bestaetigen die Regel: Nach gerade mal zwei Wochen Einarbeitungszeit war meine Kollegin Holly fuer mein Empfinden ein wenig zu selbstsicher (um nicht zu sagen, unfreundlich) geworden. Das ein Meter fuenfzig Fraeulein hatte sich ziemlich schnell angewoehnt, ihre Kollegen aus der Kueche und die Maedels aus dem Service wahlweise anzupampen oder rumzukommandieren. Ich fuehrte ein kleines "Unter-vier-Augen-Gespraech" mit ihr, indem ich ihr "im Guten" zu sagen versuchte, dass sie sicher nicht lange hier bleiben wuerde, sollte sie sich weiterhin so verhalten. Und als ob ich einen siebten Sinn gehabt haette, erteilte ihr Jo, die Managerin, am naechsten Tag vor versammelter Belegschaft eine ordentliche Ansage, ihren Kram gefaelligst selbst zu erledigen und den Ball im Allgemeinen flach zu halten. Das sass. Holly rollte von da an nur noch unauffaellig die Augen, sagte ab und zu auch mal bitte ("thank you" gehoert immernoch nicht zu ihrem Wortschatz, dafuer ist die Kleine zu cool: "Cheers, bro!" "Aeh, ja, gern geschehen, Bruder!") und gab nur noch in 50 Prozent der Faelle Widerworte.
Auch der zart besaitete Rick, der Souchef, bekam sein Fett weg. Waehrend der stressigen Neujahrszeit bat Inhaberin Kay Rick, ihr "straight away" einen Salat zuzubereiten. Als er offenbar nicht enthusiastisch genug reagierte, erteilte ihm Kay eine saftige Lektion in Sachen Arbeitsmoral - abermals vor den Augen und Ohren aller Kollegen. Waehrend ich noch darueber nachdachte, wie ernst es sein musste, wenn die freundliche und lebenslustige Kay mal deutliche Worte spricht, bekam ich von ihrem Mann Darren prompt einen Rueffel verpasst, die Tassen im Spuelbecken nicht so sehr aneinanderschlagen zu lassen. Oha, die beiden schienen keine gute Nacht gehabt zu haben.

3. Sauberkeit
Auch in diesem Fall eine Ueberraschung: Ein neuseelaendisches Cafe kann deutlich sauberer sein als ein deutsches Restaurant. Besonders natuerlich, wenn Inhaber Darren sich reinhaengt. Dann werden nach Schliessung des Cafes nicht nur alle Lebensmittelcontainer und Tupperboxen fein saeuberlich beschriftet und datiert, alle verwendeten Pfannen, Toepfe, Teller, Tassen, Untertassen, Gabeln, Messer, Loefffel, Behaelter, Regale, Kuehlschraenke, Bleche, Ablageflaechen, Geraete, Oefen und Boeden gesaeubert, sondern auch Waende, Tueren und - Achtung - Decken. Das bedeutet, dass waehrend im Gastraum die "Custumor" noch schlueckchenweise Kaffee schluerfend das kostenlose W-Lan nutzen, wird hinter den Kulissen bereits emsig aufgeraeumt und geputzt. Dieser Prozess kann unter Umstaenden ueber zwei Stunden beanspruchen, mindestens aber eine Stunde taeglich - nachdem der letzte Teller rausgetragen wurde. Dennoch ist das Fett unbarmherzig, es setzt sich ueberall ab, backt sich fest und kaempft bis zum letzten Atemzug ums Ueberleben. Und: Es kommt immer wieder. Ein echter Kampf gegen Windmuehlen, jeden Tag. 

4. Gewinnspanne
An einem guten Tag nimmt das Cafe 8000$ ein; an einem schlechten 6000$. Ein Jahr zuvor, als es noch nicht die Verbindungsstrasse zwischen Auckland und Wellington ohne Umweg ueber Taupo gab, waren die Einnahmen doppelt so hoch. Ich verdiene 13,50$ pro Stunde; Jo und Kathy, die seit zehn und 15 Jahren den Laden schmeissen, 20$; die Maedels aus dem Service und die anderen aus der Kueche irgendwas daziwschen. Durschnittlich arbeiten etwa zehn Personen acht Stunden pro Tag. Macht in etwa 1200$ Gehaltskosten. Dazu kommen noch Verbauch (Strom, Wasser, Gas, Internetgebuehren), die Lebensmittelbestellungen und gelegentlichen Neuanschaffungen. Bedenkt man, dass den Mitarbeitern noch nicht mal freie Getraenke (geschweige denn Essen) genehmigt werden (gerade mal zehn Prozent Rabatt) und zerschlagene Teller oder Missgeschicke wie das Fallenlassen von drei Bioeierschachteln a 30 Stueck (rein fiktives Beispiel; nicht, dass mir das passiert waere...) vom Gehalt abgezogen werden, koennen sich Kay und Darren vermutlich nicht ueber ein allzu entbehrungsreiches Leben beklagen.

5. Das Menu
In einer Kueche wie dieser, die gross genug ist, um Fruehstueck, Lunch und Dinner, um warme und kalte Speisen und eine kleine Auswahl an Desserts anzubieten, jedoch zu klein, um als Grossabnehmer zu gelten und erwaehnenswerte Mengenrabatte bei den Lebensmittellieferanten zu erhalten, gilt das Prinzip: "aus wenig mach' viel!" Aus zwei Scheiben Toast, etwas Raspelkaese und einer Vierteltomate wird mit Geschick und ein wenig Balsamicoessenz (der gastronomischen Allzweckwaffe) ein durchaus ansehnlicher Snack gezaubert, der sich fuer 5$ bis 7$ verkaufen laesst. Die Suppe des Tages ist natuerlich bereits vorgekocht (eine breiige Kuerbismasse oder zur Abwechselung auch mal Instantbruehe mit ein bisschen Gemuese und Huehnchenfleisch) und wird bei Bedarf schnell erhitzt, mit etwas Knoblauchbrot und Sprossen angerichtet und fuer 10$ an den Mann gebracht. Der himmlisch saftig gehaltvolle Schokokuchen und der Carrotcake werden von der Baeckerei geliefert (je 50$) und mit einem Klecks Sahne fuer 7$ das Stueck serviert (bei 16 Stuecken pro Kuechn entspricht das einem Gewinn von ueber 100 Prozent). Die Pies (gefuellte Blaetterteigpasteten), Muffins und Biscuits werden in Massenproduktion hergestellt (an ruhigen Nachmittagen habe ich bis zu 100 Pies gebacken), im Kuehlraum gelagert und bei Bestellung einzeln in der Mikrowelle erwarmt. Eine Pastete kostet 6$. Ich wuenschte, ich waere nach Produktionsmenge bezahlt worden...

Mittwoch, 2. Februar 2011

Kinderspielplatz

Nach einer ziemlich kurzen Schicht im Cafe (in letzter Zeit schliessen wir meist schon um fuenf oder sechs Uhr nachmittags, weil die wenigen Touristen, die jetzt noch nach Taupo kommen, offenbar nicht kaffeedurstig genug sind), gehe ich in Richtung Riversidepark. Wieder einmal bin ich hingerissen von den tollen Farben und der unheimlich starken Stroemung des Waikatoflusses. An zwei hohen Baeumen, die schraeg ueber den Fluss gewachsen sind, hat irgendjemand Taue befestigt. Ich beobachte zwei Maedchen mit ihrem Papa beim Lianenschaukeln mit dem "Swingrope" und denke ein bisschen wehmuetig, wie gern ich mich dazugesellen wuerde. Aber so ohne Handtuch und Bikini... und ueberhaupt bin ich (mit meinen beinahe 24 Jahren) wohl zu alt fuer solch spontan-verrueckten Aktionen.





Als Tarzan mit seinen zwei Nachwuchsjanes sich irgendwann die Finger wundgeschwungen haben, wage ich mich vorsichtig naeher heran und pruefe argwoehnisch Beschaffenheit und Reichweite, Belastbarkeit und Schwingradius der Seile. Scheint soweit alles okay zu sein... Dann traue ich mich und schwinge mit dem kurzen Tau einmal vor und zurueck. Klappt! Leider hat sich das lange Seil im Baum verfangen und ist vom sicheren Land aus nicht erreichbar. Ein paar Kinder sehen meine Bemuehungen, den Arm laenger als lang zu machen ohne dabei ins Wasser zu fallen, und gesellen sich zu mir. Gemeinsam bemuehen wir uns, das Mastertau zu befreien. Nach einigen Versuchen mit zunehmend ausgekluegelter Technik gelingt es uns schliesslich. Ein kurzer Ueberwindungsmoment, dann wage ich den Sprung. Hui, macht das Spass!Waehrend ich mich wie ein Kletteraffe an das Seil klammere, schwinge ich weit hinaus, fast bis zur Flussmitte, und wieder zurueck zum Ufer.
Dann werde ich mutiger, nehme mehr Anlauf, bekomme das Tau aber nicht richtig zu packen, rutsche ab und lande - natuerlich in voller Montur - im Wasser. Sorfort reisst mich die Stroemung einige Meter mit flussabwaerts. Trotz Seepferdchen und Silbermedaille habe ich schwer zu kaempfen, um ans Ufer zu schwimmen. Keuchend schaffe ich es, indem ich mich an der Uferboeschung festhalte und aus dem Wasser ziehe. Triefend, aber mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, laufe ich zurueck und springe sofort wieder aufs Seil. Jetzt bin ich geradezu tollkuehn (weil eh schon nass), schwinge hin und her, vor und zurueck und im Kreis herum - bis mir auffaellt, dass die Kinder, die aufgereiht am Ufer stehen, mir einen konsternierten Blick a la "wir wollen auch mal!" zuwerfen. Na gut... ich hatte meinen Spass. Zufrieden und im wahrsten Sinne des Wortes beschwingt mache auf den Heimweg, nicht ohne mir selbst einen Blick im naechsten Schaufenster zuzuwerfen und ein wenig verdutzt ueber meine spontane Verruecktheit (siehe oben - doch nicht zu alt?) den Kopf zu schuetteln.








Abends treffe ich mich mit meinem Bekannten Elliot auf ein Bier am See (verboten, verboten: In der Oeffentlichkeit Alkohol zu trinken, das sieht die hiesige Polizei gar nicht gerne. Deswegen gibt es die sogenannten Liquid-Ban-Areas, die quasi in allen groesseren Staedten neuseelaendische Kids und Maoris von der Flasche weghalten sollen). Ich habe wohl noch ein wenig zu viele Glueckshormone intus und Elliot kann sich nicht schnell genug wehren, um als Model fuer ein tierisches Vergnuegen (haha) herzuhalten.

Lake Taupo im Daemmerlicht

Kaetzchen

Elch
 
Huhn

Fisch

Tiger