Montag, 28. März 2011

Cape Farewell

Von dem verrueckten Kandier Fraser habe ich den Tipp bekommen, zum Wharariki Beach ans Cape Farewell zu fahren. Das Kap ist der noerdlichste Punkt der Suedinsel und liegt sogar "ueber" Wellington. Da in dem vom DOC verwalteten Naturpark wildes Campen eigentlich verboten ist, "uebersehe" ich das Hinweisschild am Eingang und raeume meinen kompletten Rucksack leer und lade alles in den Kofferraum meines Autos. Mein "Ueberlebenspaket" beinhaltet nur das Allernoetigste: Zelt, Schlafsack, lange Hose und Fliespullover gegen die Kaelte, Sandfly-Spray, Zahnbuerste und Zahnpasta, Fotoapparat, MP3-Player (der wiegt ja nix), Wasser und die Tupperbox mit den Resten meiner selbstgemachten Pizza vom Vortag. Als ich den neu bestueckten Rucksack hochhebe, trifft mich erstmal der Schlag. Mann, ist der schwer! Dabei habe ich noch nicht mal die Isomatte oder ein Buch eingepackt. Und das soll ich den ganzen Weg tragen? Naja, hilft ja nix. 


Uff, sieht man mir die Anstregung etwa an?


Obwohl die Infotafel behauptet, der Weg zum Strand sei in 20 Minuten zurueckzulegen, brauche ich etwa doppelt so lange. Ob das an dem zusaetzlichen Gewicht auf meinem Ruecken liegt? Immerhin ist der Pfad wunderbar unberuehrt und fuehrt mich mitten ueber eine Schafweide. Als ich den gruenen Huegel mit den grossaeugigen Kuehen hochstapfe, erhasche ich einen Blick auf den Strand - und bin ueberwaeltigt. Diese Kulisse haut mich einfach um. Aus dem Wasser ragen turmhohe Felsformationen, aus denen Wind und Gezeiten Loecher und Durchgaenge herausgearbeitet haben. Befluegelt von der Aussicht, an diesem Strand entlangzulaufen, lege ich die letzten Meter durch den Busch im Eiltempo zurueck. Nach wenigen Minuten erreiche ich das menschenleere Labyrinth aus riesenhaften, hoehlendurchsetzten Steinwaenden. Die ausgewaschenen Eingaenge sind oft mehr als doppelt so hoch wie ich, gut begehbar und an den Innenwaenden mit glitzernden Minimiesmuscheln uebersaeht. Ich kann mich kaum sattsehen.












Irgendwann muss ich jedoch aufbrechen, wird es doch bald dunkel und ich muss noch einen wind- und sichtgeschuetzten Zeltplatz finden. Gar nicht so einfach, schliesslich muessen auch die Heringe irgendwo Halt finden. Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich schliesslich dafuer, versteckt hinter einem grossen Felsen auf einem kleinen Grasflecken mein Zelt aufzuschlagen. Da es wirklich nicht nach Regen aussieht und ich auf Nummer sicher gehen will was Tarnung angeht, lasse ich die grellblaue Regenplane dieses Mal weg. Dann schnappe ich mir die Lunchbox, klettere auf meinen "Hausfelsen" und schaue der Sonne beim Untergehen zu. Die letzten lichten Momente des Tages nutze ich, um mich im Zelt einzurichten. Um 20.30 Uhr ist es "pitchdark", stockduster. 

Da, ganz klein und unsichtbar, da steht ein Zelt!






Eingemuckelt in meine Fliesklamotten und den Schlafsack kann ich nur noch Musik hoeren. Irgendwann wird es so kalt, dass sich meine Nase anfuehlt, als wuerde sie zufrieren. Mitten in der Nacht hoere ich Wasser direkt vor meinem Zelteingang schwappen. Die Flut ist da. Besorgt zippe ich das Fliegengitter auf, waege ab und entscheide schliesslich pfadfindergleich anhand der Kuestenlinie und des Treibguts, dass das Wasser wohl seinen Hoechststand erreicht hat. Dennoch wird es eine unruhige Nacht, in der ich von einem ueberschwemmten Zelt und einer ausweglosen Hoehle traeume. 



Da ich um sieben Uhr am naechsten Morgen, als mein Handywecker klingelt, sowieso schon (oder noch?) wach bin, stehe ich auf und laufe - dieses Mal ohne schweres Backpack - am Strand entlang. Ausser mir ist nur noch eine junge Fotografin unterwegs, die sich und ihr Stativ strategisch gut zum Sonnenaufgang positioniert. Dann entdecke ich sogar Robben, die auf einem grossen Felsen rumluemmeln und sich die Gischt um die behaarte Nase wehen lassen. Ich geniesse das Gefuehl, langsam aufzutauen und diesen ganz besonderen Ort (fast) fuer mich allein zu haben. Auf dem Weg zurueck zum Parkplatz sage ich "farewell" (Lebewohl) zu den Schafen und Kuehen und meinem Lieblingssteinbogen.  Die Nacht am Wharariki Beach wird mir garantiert als eines der schoensten Neuseelanderlebnisse im Gedaechtnis bleiben. 










Ciao, bye bye!
Cape Farewell
Wer hier keine Robben sieht, braucht 'ne Brille!











Samstag, 26. März 2011

Ab in den Sueden!

Byebye Nordinsel, hallo Suedinsel!
Ich feiere Halbzeit in Neuseeland und nutze den roten Kringel im Kalender fuer einen Tapetenwechsel. Am Faheranleger in Wellington darf ich mich mit meinem kleinen Autochen als erstes in Line 9 einreihen. Der muellwagenfarbene Einweiser macht einen guten Job und zeigt mir genau, wo ich hinmuss und - sehr praktisch - wie viel Platz zum naechsten Wagen vor mir ist. Damit ist es offiziell, ich habe die Nordinsel (das Festland) verlassen. An Deck ist es so windig, dass ich mich locker im 45 Grad Winkel gegen die Boe legen kann. Ich fuehle eine aehnliche Ungewissheit und Nervositaet wie bei meinem Anflug auf Auckland vor viereinhalb Monaten. Ich bin aufgeregt. Wo soll ich bloss anfangen, welche Route soll ich nehmen und was erwartet mich?

festgehalten: schwarzes Fahrticket fuer mich, weisses fuer meinen vierreifigen Freund

eingereiht

angelehnt

angestrahlt: erster Eindruck von der Suedinsel
zweiter Eindruck: immernoch schoen!


Im Hostel wartet erstmal niemand auf mich. Dafuer hat das "Paradiso" in Nelson einiges an Luxus zu bieten: "free breakfast, free soup with bread, free wireless, pool and sauna", lese ich in der Beschreibung der Backpackerbroschuere. Gibt's ja nicht! Ich verbummele den ganzen Nachmittag in der Haengematte am Planschbecken und in der Sauna. Von hier aus habe ich einen guten Blick auf das Geschehen am Pool.  Leutegucken macht schon Spass... Ich fuehle mich an ein fuenf Sterne Ferienresort auf den Baleraren erinnert. Interessant, wie so ein uebergrosses Planschbecken die in der Regel ach so alternativen und antimassentouristisch veranlagten Backpacker zu Robbinsonclubliegenreserviern werden laesst. Nur die Oldschoolfliegersonnenbrillen stammen nicht aus Kriegszeiten sondern aus dem H&M. Der Altersdurchschnitt ist wohl der gleiche: Waehrend im Luxushotel entweder schreiende Kleinkinder oder motzende Rentner den Frieden stoeren, sind es hier die Mid- und Latetwenties mit ihrer Reaggaeboxenmusik und den Rangelein im Pool. Einer von den Unruhestiftern bin ich. Gemeinsam mit einigen hyperaktiven Kanadiern, einem Daenen, einem Hollaender und einem Franzosen - einer sehr unterhaltsamen Truppe - spiele ich Wasserball und Doeppen. 

ein bisschen Luxus darfs schon sein

Am Abend verwandelt sich das Hostel in eine gruene Partyhoelle. Heute ist St. Patricks Day. Der eigentlich irische Feiertag wird wie ein neuseelaendischer zelebriert. Gruener Glitter, gruene Kleeblaetter und Luftballons, sogar gruene Unterwaesche bekomme ich zu sehen. Die haben sie ja nicht alle...

Am naechsten Tag wache ich mit einem ziemlichen Schaedel auf. Oh mannomann, ich kann echt kaum noch was vertragen. Kein Wunder, bei den Preisen fuer Alkohol. Zum gesponderten Fruehstueck quaele ich mich aus dem Bett, hole dann aber noch zwei Stuendchen Auskaterschlaf nach. Dann schwinge ich mich auf und erkunde Nelsons Kuenstler- und (natuerlich) Kaffeeszene. Beides ist nach meinem Geschmack. Viele kleine Galerien zum Herumstoebern und ein herzhafter Muffin, der auf der Zunge zergeht.

der aelteste noch erhaltene Strassenzug in Neuseeland aus dem Jahr 1851

Perlenparadies

Kunstliebhaberin

Wollknaeul

Dienstag, 22. März 2011

Windy Welly

Was ich an Wellington mag:

  • Die ganze Stadt ist stylish, "cool", "fashionable", zum An- und Abgucken. Obwohl derzeit im Grossen und Ganzen der 80er-/Rockabilly-Look angesagt ist, schaffen es dennoch die meisten Wellingtoneaner, diesen Trend sehr stilvoll und individuell zu gestalten. Ich gucke und gucke und fuehle mich wie in Paris oder London.





    • "Wellington ist wie Hong Kong, nur ohne Chinesen", sagte einmal ein gewisser Herr Noffke/Noffkan/Noffker (Namensendung ueber die Jahrhunderte nicht ueberliefert). Nicht ganz, Oliver. Hong Kong ja (lauter Asialaeden, kleine Geschaefte neben hohen Wolkenkratzern und bunte Schriftzuege), ohne Chinesen nein (der Anteil an Zugereisten aus Asien scheint sogar ziemlich hoch im Vergleich zu anderen groesseren Staedten in Neuseeland). Aber auch viele andere kulturelle Einfluesse mischen sich auf den bunten, eng bebauten Strassen Wellingtons.




      • Endlich mal eine Stadt, die architektonisch was zu bieten hat: die drei Parlamentsgebaeude stammen alle aus unterschiedlichen Epochen, wirken auf den ersten Blick zwar wahllos zusammengewuerfelt, ergeben beim zweiten Hinsehen aber durchaus ein stimmiges Gesamtbild. Der Hafenkomplex ist modern, die Kneipenstrasse Cubastreet atmosphaerisch, die Shoppingmeilen exquisit.











        • Die auskunftgebenden Damen im i-Site sind so gefragt, dass man eine Nummer ziehen muss, um eine Audienz zu bekommen. Ich liebe Nummernziehen. Das spiessigdeutsche Herz in meiner Brust jubelt: Nummernziehen ist so ein verlaesslicher, vorhersehbarer Vorgang. Gerecht, unparteiisch, unbestechbar. 
        • Das knallrote Cablecar, das die Studenten den Berg zur Uni raufbringt, (jaja, manche Staedte investieren tatsaechlich was in den Bildungsnachwuchs) ist auch fuer Touris eine sehr bequeme und zuegige Fortbewegungsmethode. Bergrunter geht es natuerlich durch den Botanischen Garten. Wenn schon englisch kultiviert, dann richtig.





          • Man kann den Wolken beim Davonfliegen zuschauen - so sehr tost hier der Wind. Beim Aussichtspunkt hoch oeben ueber den Daechern der Stadt (und ganz nah am Himmel) hat man das Gefuehl, mit aufs Meer hinausgezogen zu werden. Da der Wellingtoner Wind hier mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich 80km/h pfeift, wurde sogar ein Windrad installiert - eine der wenigen Gegenden Neuseelands, in denen natuerliche Energien genutzt werden.




            • Und natuerlich: Wellingtons kulturelle Ader: 

            Wegbemalung...

            ...und Strassenmusik

            Kaffee- und Esskultur

            Kleiderkult und Boutiquendichte

            Kunst...
            ...und Handwerk

            Film- und Fernsehkultur

            Und natuerlich: die unglaubliche Museums- und Galerienvielfalt.
              Der Albtraum jedes Teenagers auf Klassenfahrt: Museumsbesuch. 
              Der Traum jedes halbwegs aufgeschlossenen und interessierten Studenten auf Reisen: ein Besuch im Te Papa.

              Ich verbringe unglaubliche sechseinhalb Stunden in dem sechsstoeckigen Multimedia-Entertainment-Interaktiv-Tempel - ohne mich zu langweilen oder muede zu werden. Lediglich die Fuesse meckern ein Mal kurzm werden aber schnell mit einer Entlastungspause in einem der vielen Filmraeume ruhig gestellt. Dieses Museum ist definitiv das beste, das ich je besucht habe. Egal ob auditiv, visuell oder haptisch, erfahren, verstehen und lernen funktioniert hier auf allen Ebenen. Jeder meiner Sinne fuehlt sich positiv angesprochen. Und: Es ist umsonst. Ein kulturelles Sahnehaeubchen. Das schmeckt besonders gut zu dem Carrotcake, den ich mir im Museumscafe goenne und mit einem schwarzen Tee abrunde. So ein bisschen Koffein kann schliesslich nicht schaden.










              Nachhaltig beeindruckt und emotional wie intellektuell vollends befriedigt, kann ich die wenigen Minuspunkte dieser Stadt neutral auflisten.

              Was ich nicht an Wellington mag:
              • Jede Sekunde, die man in eine Frisur investiert, ist vollkommen vergebene Liebesmuehe. Der Wind macht ja doch alles zunichte.


                • das Parksystem: ueberall, aber auch wirklich ueberall muss man blechen. In einem Kiosk kaufe ich mir ein Tagesparkticket fuer 7,50$, auf dem ich das Datum freirubbele. Und damit bin ich noch gut weg gekommen. Andernorts (wie auf dem Parkplatz vom Te Papa ist der Tagessatz 22$)


                  • die Verkehrsfuehrung: diese ganzen Einbahnstrassen, Kreuzungen und Kreisel, unuebersichtlich und irrefuehrend. Nur knapp entgehe ich einem Unfall, als ein aus einer Parkluecke scherender Wagen ohne Blinker geschweige denn Blick in den Rueckspiegel auf meine Spur lenkt. Ich kann gerade eben noch ausweichen und muss erstmal an den Strassenrand fahren und durchatmen. Dafuer passiert es mir am naechsten Tag das erste Mal, dass ich voellig verwirrt auf der Kreuzung stehe und nicht mehr weiss, wo oben und unten ist und auf welcher Strassenseite man hier nochmal faehrt. Uff, bloss raus aus der Grossstadt. Auf zur Suedinsel!