Dienstag, 31. Mai 2011

Kinloch von nah und fern

Anfang der Woche bekommen die Finnin Maria und ich Unterstuetzung an der Wwoofing-Front. Richard, Debbie und James trudeln in der Kinloch Lodge ein. Die drei Englaender wollen - ebenso wie Maria und ich - ein Weilchen raus aus dem "Grossstadtdschungel" Queenstown, raus aufs Land, auf die andere Seeseite. Der blasse, ein wenig schuechterne Richard ist mir von Anfang an sympathisch. Debbie und James beobachte ich erstmal ein wenig skeptisch. Ob es Barbie und Ken hier in der "Wilderness" lange aushalten werden, naja, mal schauen... Ihre Feuertaufe bekommen die drei bereits am ersten Abend, als plotezlich alle Lichter ausgehen und auch der Fernseher auf stumm/stur schaltet. Herbergsvater John checkt als erstes den Sicherungskasten, dann die oertliche Stoerungshotline. Auch in naechst groesseren Ort Glenorchy ist der Strom weg. Erstaunlicherweise nehmen es alle relativ gelassen. John schafft ein paar Gaslampen ran, die Jungs entfachen ein Kaminfeuer, wir Maedels fuellen die Waermflaschen mit dem noch warmen Wasser aus dem Boiler. Eine Viertelstunde spaeter ist der Strom wieder da und wir koennen unseren Film zu Ende schauen.

Am naechsten Tag laufen wir gemeinsam mit den Hunden am See entlang, klettern aufs Baumhaus und spielen anschliessend eine Runde "Risiko" in der Backpackerlounge. Zwar muessen wir Debbie die Regeln jede Runde neu erklaeren, dennoch muss ich zugeben, dass ich die drei "Neuen" wirklich gerne mag. Zudem kann ich mich gluecklich schaetzen, von lauter Muttersprachlern umgeben zu sein. Sei es das Erklaeren von Spielregeln, das Verstehen von Filmen mit Originalvertonung oder die Diskussion am Abendessenstisch, englisch sprechen klappt inzwischen ziemlich gut - auch wenn meine "Kollegen" sich ab und zu ein Grinsen nicht verkneifen koennen, wenn ich mal wieder versuche, mir eine neue Vokabel einzupraegen (Standardfrage: "How is it spelled?") oder mit besonders kreativer Betonung glaenze. Sei's drum, gemeinsam lachen klappt auf englisch, finnisch oder deutsch gleich gut.

Steinchenjunkie Samson

Stamm(es)fuehrer James

Baumkoenige

Debbie will hoch hinaus

Riskiosession

Nach den ersten Einarbeitungstagen der neuen Wwoofer ist nicht allzu viel zu tun. Wir haben kaum Gaeste, alle Waende in den Backpackerzimmern sind neu gestrichen und die Jungs haben einen Grossteil der Baeume, die die Sicht auf die dahinterliegenden Berge versperren, abgeholzt. An einem sonnigen Nachmittag schnappen wir uns die Kajaks und paddeln auf den riesigen Lake Wakatipu raus, der Kinloch mit Queenstown verbindet. Gemeinsam mit Debbie steuere ich ein "sit on" Kajak, in dem wir - trotz starkem Wellengang und enthusiastischen Paddelbewegungen - locker die Balance halten. Richard und James bevorzugen die "direktere" Abkuehlung, schaelen sich aus ihren Arbeiteranzuegen und huepfen in das gerade mal acht Grad kalte Wasser des Gletschersees. Die spinnen, die Briten!

Baumfaellerteam

Paddelteam

Am naechsten Tag starten wir gemeinsam zum Projekt "Geburtstagsgeschenk fuer John". Stundenlanges Brainstormen hat die Idee einer Fotocollage hervorgebracht. Mit wild suchenden Augenbewegungen arbeiten wir uns unseren Weg ueber das Gelaende der Kinloch Lodge, um geeignete Fotomotive zu finden. Steinplatten, Holzscheite, Fahrradhelme, Heizrohre, Bootstaue, Wanderstiefel, Gummiringe, Fensterrahmen, Bademaentel und Waermflaschen bilden schliesslich ein Gesamtkunstwerk, mit dem ich hoechst zufrieden bin. Ganz schoen kreativ, das A-Team! Natuerlich muessen die Bilder noch entwickelt werden. Da sich der naechste (Foto-) Shop in Queenstown befindet, unternehmen wir einen Ausflug in die "grosse Stadt". Fuehlt sich seltsam an, nach zwei Wochen Abgeschiedenheit mal raus zu kommen. So viele Menschen, so viel Gewusel! Natuerlich nutzt jeder von uns die Gelegenheit zum Shoppen und Kontakte pflegen. Ich gehe mit Ruth einen Kaffee trinken, die Englaender besuchen ihre Bekannten aus dem Hostel und Maria schaut sich nach Secondhand-Skiausruestung um. Auf der Rueckfahrt ueber die kurvenreiche Kuestenstrasse schlaeft Richard auf dem Beifahrersitz ein, Debbie kuschelt mit Maria auf der Rueckbank und ich diskutiere mit James, wie genau wir die Fotocollage zusammensetzen wollen. Wie bei einem richtigen Familienausflug!

erhoehtes Stativ

Lazy (&) Rich





Am Freitag ist dann der grosse Tag gekommen. Zu John's 50. Geburtstag werden Oma, Brueder, Neffen und Nachbarn aus England, Auckland, Wellington und Glenorchy eingeflogen. Damit alle gut versorgt und entsprechend beeindruckt von Haus, Hof und Service sind, roedeln Debbie, James, Maria, Rich und ich von frueh bis spaet. Die Jungs errichten mit dem frisch gefaellten Brennholz ein grosses Feuer am Seeufer, wir Maedels helfen in der Kueche. Herbergsmutter Tony hat einen Ablauf- und Essensplan fuer die zweitaegige Geburtstagsfeier auf ein Whiteboard gemalt. Das war's dann aber auch schon mit der organisatorischen Vorbereitung. Ansonsten ist Improvisieren angesagt. Rezept- und ein wenig planlos versuche ich, einen Schokokuchen, ein Kaffeemousse und einen Apfelstrudel aus dem Hut zu zaubern. 
Um halb sechs ist dann - laut Whiteboardschedule - "time for pressies". Stolz ueberreichen wir John den "KINLOCH LODGE"-Bilderrahmen. Obwohl unser Gastvater tapfer schluckt und verschaemt unseren Blicken ausweicht, kann ich sehen, wie ihm die Traenen in die Augen schiessen. Mit unserem Geschenk scheinen wir einen Volltreffer geleistet zu haben.
Nach dem offiziellen Teil der Feier mit Familienessen und Stoffservietten duerfen wir uns an der "open bar" bedienen. Richard als professioneller Barkeeper reicht mir einen eisgekuehlten Drink nach dem anderen ueber die Theke. Ich probiere von Whiskey ueber Martini bis zu Brandy alle Klassiker und tanze anschliessend mit Maria (und einigen Promillen) um das Lagerfeuer. 

Unser Geschenk...

... scheint gut anzukommen

Lucy und James beim Geburtstagskuchenfinish

Familie Glover

Barmann Richard hoch konzentriert

Damenrunde

Geschwisterliebe

Nach dem Katerfruehstueck am Samstagmorgen hat Tony eine ganz besondere Ueberraschung fuer das Geburtstagskind John. Ganz spontan hat sie die oertliche Sportfliegergesellschaft angerufen und angefragt, ob eine Maschine und ein Pilot verfuegbar sind. Und so ganz spontan werden Richard und mir die zwei verbliebenen Sitzplaetze angeboten. Und ebenfalls ganz spontan sagen wir "ja" - was sonst!? 
Mit einer kleinen Propellermaschine fliegen wir hoch oeben ueber die Kinloch Lodge, Lake Wakatipu und die umliegenden Berge. Pilot Robert zeigt uns Herr-der-Ringe-Drehorte, Gletscherseen und Schneewolken aus der Vogelperspektive. Letztere sehen jedoch weitaus weniger bedrohlich aus als dass sie sich anfuehlen. Mehrere Male sackt unser Flugzeug ohne Vorwarnung viele Meter in die Tiefe. Trotz einschlaegiger "Kotzschleuder"-Erfahrungen auf deutschen Kirmesgeraeten muss ich mich ziemlich zusammenreissen, um meinen Magen unter Kontrolle zu halten - vor allem, als ich eines meiner Crewmitglieder erst bleich, dann gruen und dann spucktuetenbraun werden sehe. Wenigstens kann ich durch die dicken Kopfhoerer nur die beruhigende Stimme von Robert hoeren, nicht aber die appetitlichen Wuergegeraeusche. Trotz Verdauungskarrussel ist der 40 minuetige Flug eine echte Wucht, einfach spektakulaer. Endlich kann ich die schneebedeckten Berge aus der Naehe betrachten, Schluchten, Taeler und Kaemme bestaunen. Aus dieser detailreichen und gleichzeitig unendlich weiten Perspektive habe ich Neuseeland noch nicht gesehen. Ein voellig neuer Eindruck. Phantastisch!


die Crew von links: John's Neffe (der magenschwache Bruchpilot) Byron, Geburtstagskind John, Bruder Rick, Freundin Hellen, Wwoofer Nina & Richard





Kinloch Lodge von oben

natuerliches Kunstwerk

Pilot Robert











Lake Wakatipu

Mit noch ziemlich wackeligem Magen (due to the Turbulenzen) und Knien (due to the Luftloecher) purzele ich aus dem Flugzeug in Johns Van und lasse die erlebten Szenen vor meinem inneren Auge Revue passieren. Wenn das nicht besser als jeder Peter Jackson Film ist... 
Am Abend trudeln schliesslich die restlichen Partygaeste ein. Frisch aufgehuebscht und ausstaffiert mit einmaligen Erinnerungen gesellen Richard und ich uns zum restlichen A-Team, tragen Teller und Glaeser raus und wieder rein in die Kueche, schenken Wein aus, halten das Lagerfeuer am Laufen und versuchen, John vom Herd weg- und in den Gastraum zu scheuchen. Gegen halb elf sind endlich alle satt und gluecklich und muessen nicht mehr von uns betuetelt werden. Endlich koennen wir unsere eigenen Backkunstwerke probieren und die Millionen "Fireflies" beobachten, die vom Lagerfeuer in den Nachthimmel fliegen. "Viel Spass, da oben", rufe ich ihnen hinterher. "Da ist es schoen, ich hab's selbst gesehen!" 

das A-Team nach getaner Arbeit

Partyprojekt




Schoko-Kaffee-Mousse und neuseelands Ausgabe der Schwarzwaelderkirsch: Pavlova




Feuerschlucker

Funkenwald