Mittwoch, 4. Mai 2011

Dunedin & Otago Peninsula

Die Studentenstadt Dunedin kommt mir auf den ersten Blick sehr vertraut, sehr europaeisch, vor: ein echter Stadtkern, breite Strassen, eine nette Bar- und Kneipenszene. Letzere wird gegen Abend natuerlich genauer von Ruth, Sun und mir unter die Lupe genommen. Patrick ist leider nicht mehr dabei, er hatte eine andere Reiseroute als wir. Sun hat eine Woche Osterferien und ist mit dem Bus von Christchurch angereist, um noch ein wenig Zeit mit uns zu verbringen. Gemeinsam mit Ruth' Freunden Sam und Chris wippen wir zur Gitarrenmusik im Irish "Craig" Pub, bevor um Mitternacht die Lichter ausgehen und die Gaeste mit den Glasscherben und Zigarettenstuemmeln auf die Strasse gekehrt werden. Es ist Ostersonntag - auch hier in Neuseeland der wichtigste Feiertag des Jahres.

Dennoch haben viele Geschaefte und Cafes geoeffnet. Nachdem wir uns verkatert die steilste bewohnte Strasse der Welt, die Baldwin Street, hinaufgeschleppt haben und oben auf dem warmen Asphalt ein Nickerchen gemacht haben, holen wir uns in der Food-Mall in der Innenstadt "Hangover-Fastfood" und schauen im Hostel gleich zwei DVDs hintereinander. Ein echter Faulenzertag muss schliesslich auch mal drin sein.

Sun laeuft der Sonne entgegen


Schraeglage

Ruth hat zu Kaempfen

ich kann mich entspannt zuruecklehnen

und dann hinlegen

Der naechste Tag ist weniger faul, dafuer aber nicht weniger zufriedenstellend.
Morgens besuchen wir die Public Art Gallery und verrenken uns die Haelse, um die uebermannsgrossen Kunstwerke in voller Pracht bewundern zu koennen.
Anschliessend gehen wir shoppen - und zwar richtig! Nach sechs Monaten Abstinenz erlaube ich mir endlich mal wieder, etwas zu kaufen, dass NICHT praktisch, sondern SCHOEN ist - und bin erstaunt, wie gut mir das tut. Als ich mich im Spiegel mit meinem neuen gemusterten Kleid, dem taillierten Blazer und dem gebluehmten Haarband betrachte, gefaellt mir nach langer Zeit endlich mal wieder, was ich sehe. Ueberaus zufrieden mit meinem "neuen alten Ich" strahle ich ueber das ganze Gesicht und beschliesse, in Zukunft auf dieses Gefuehl zugunsten Packmassen und Backpackerimage nicht mehr verzichten zu wollen.
Mit Einkaufstueten in der Hand und einem Grinsen auf dem Gesicht laufe ich mit Ruth und Sun zum schoenen alten Bahnhofsgebaeude mit der schmucken Boden- und Wandverzierung.

Shopping-o-clock




Am Nachmittag erkunden wir die Ausstellung "my face" im Stadtmuseum, in dem wir mit dem auf einem Strichcodeticket gespeicherten Foto unseres Gesichts allerhand Unsinn anstellen koennen. Um zu demonstrieren, dass symmetrische Gesichter im Allgemeinen als huebscher wahrgenommen werden, wird erst unsere linke, dann unsere rechte Gesichtshaelfte gespiegelt. Danach koennen wir die Auswirkungen von Sonnenstrahlung, Nikotin und Adipositas in unser Gesicht zeichnen lassen und schliesslich unser psychologisches Einfuehlungsvermoegen testen, indem wir versuchen, anhand von "micro-expressions" Luegen zu identifizieren. Vier von fuenf Mal liege ich mit meiner Einschaetzung richtig und habe damit eine groessere Treffsicherheit als der "Durchschnitts-Sherlock-Holmes" (55 Prozent korrekt).




  asymmetrisch wie immer, links gespiegelt und rechts gespiegelt

ich mit 72 Jahren
ich mit72, sonnengeschaedigter Haut und Adipositas


An unserem letzten gemeinsamen Tag machen wir einen "Familienausflug" zur Otago Peninsula, die gerademal fuenfzehn Autominuten von Dunedin entfernt ist. Am Sandfly Beach tollen wir in den riesigen Sandduenen herum, rubbeln uns gegenseitig die vom eisigen Wind steif gewordenen Finger warm und quaelen uns schliesslich wieder den steilen Huegel zum Parkplatz hinauf. Dann fahren wir zum noerdlichsten Punkt der Halbinsel, an dem wir Robben und Albatrosse beobachten. Die Boeen, auf denen sich die grossen Seevoegel treiben lassen, sind fuer uns eindeutig zu heftig, sodass wir es nicht lange aushalten und uns bald auf den Rueckweg machen. Zurueck im Hostel backen wir eine Gemuesequiche und schmieden Reiseplaene fuer die naechsten Tage. Unglaublich, wie anstrengend das sein kann: immer wieder eine neue Stadt erkunden (wo ist der naechste Supermarkt, wo gibts das guenstigste Internet, wo zum Teufel finde ich tiefe Teller im Kuechenregal des Hostels???), eine neue Bleibe organisieren, Sehenswuerdigkeiten auschecken. Das kostet Zeit und Energien. Ziemlich muede und durchgefroren kuschele ich mich in das von der Heizdecke vorgewaermte Bett und schlafe mit den Stoepseln meines MP3-Players in den Ohren ein.








Montag, 2. Mai 2011

von Omarama nach Oaramu

Nachdem Ruth, Ptarick und ich eine Nacht in dem zehn-Bett-Schlafraum im Bauernhaus im Omarama vebracht haben, bleiben wir ein wenig laenger unter den Steppdecken liegen als gewoehnlich. Um zehn Uhr sind wir die letzten "Auschecker"; wir wollen es heute ruhig angehen lassen. Ziemlich unruhig ist die Fahrt ueber die Schlaglochpiste zu den Clay Cliffs - ein echter Geheimtipp, der selbst im zentimeterdicken Reisefuehrer nur am Rande bemerkt wird. Die ueber fuenf Millionen alten, durch Erosion geformten Felsen sind ganz schoen gewaltig, sehr steil und sehr geroellig. Auf den losen Steinchen findet man kaum Halt. Dennoch macht das Klettern in den Schluchten enorm Spass und ist selbst fuer den erfahrenen Patrick eine Herausforderung.
Auf der weiteren Fahrt machen wir einen kleinen Umweg um den Aviemore Lake herum, einen milchig blauen Gletschersee, gesaeumt mit wunderschoen leuchtenden Laubbaeumen.











Unser letzter Routenpunkt sind die "Elephant Rocks" auf einer Schafweide bei Ngatara: ein phantastischer Kinderspielplatz. Auf den glatten Oberflaechen der durch Wind und Regen geformten Kalksteinfelsen laesst es sich prima herumturnen. Genau das Richtige fuer unsere von der langen Autofahrt mueden Geister.  Nach einer ausgedehnten Kletterstunde auf Elefanten-, Baeren- und Kamelruecken legen wir zuegig die letzten Kilometer bis Oaramu zurueck (Vorschlaege zur korrekten Aussprache sind herzlich willkommen!).






 



Unser Hostel ist gleichzeitig ein Musikstudio und eine Gallerie. Ueberall liegen Instrumente rum, (ich greife mir sofort eine der Gitarren und wiederhole die von Patrick gelernten Noten und Akkorde) und jeder Quadratzentimeter Wand ist mit einem anderen farbenfrohen Gemaelde zugepflastert. Obwohl Oaramu als DIE Pinguinhauptstadt Neuseelands gehandhabt wird, koennen wir leider nicht mehr als einen winzigen watschelnden Fracktraeger ganz ganz klein in der Ferne und eine bewegungslose (tote?) Robbe am Strand entdecken. Dafuer bewundern wir den tollen Abendhimmel, der heute in violett, flieder, orange und gelb leuchtet. Mich spricht besonders der Kontrast zwischen dem kitschig bunten Sonnenuntergang und dem historischen Fabrikcharme des Hafens an.





Am naechsten Tag schauen wir uns die zahlreichen Gallerien und Nippeslaeden in diesem "Historic district" genauer an. Waehrend Ruth und Patrick mit jeder neuen Besichtigung spuerbar gelangweilter werden, gerate ich ins Schwaermen. Ich koennte Stunden damit verbringen, durch die Kuenstlerwerkstaetten zu schlendern, Gemaelde, Skulpturen und Raeumlichkeiten wie das riesengrosse Loft mit den freiliegenden Holzbalken und der tollen Aussicht auf den Hafen zu bewundern.  





Da ich die Geduld meiner Reisepartner nicht ueberstrapazieren will, reisse ich mich dennoch los und will eine Runde Muffins aus der Baeckerei spendieren. In Gedanken sind wir alle wohl schon bei lauwarmen Backwaren und heissen Getraenken, als wir die Autotueren verriegeln und zuschlagen - und dabei leider den Schluessel im Zuendschloss vergessen. Zugegeben, meine Schusseligkeit wiegt dabei am schwersten. Einen bewegungslosen Moment lang weiss ich absolut nicht, wie wir aus diesem Schlamassel wieder rauskommen sollen. Dann faellt mir ein, dass ich beim Autokauf auch eine Mitgliedschaft beim AA, dem neuseelaendischen Automobilclub, abgeschlossen habe. Ein Anruf genuegt, schon eilt Hilfe herbei. Ich kann es kaum glauben, als nach drei Minuten bereits ein gelbbedrucktes Auto anrollt und der freundliche Herr im legeren Mechanikerdress innerhalb von weniger als 60 Sekunden ein aufblasbares Kissen in die Beifahrertuer klemmt, dann einen Platzhalter aus stabilem Plastik reinsteckt und schliesslich mit einem langen Draht und etwas Geschick den Knopf hochzieht. So knackt man also ein Auto. Mr. AA hat dafuer noch nicht mal seinen Motor ausgestellt. Begeistert von diesem souveraenen gelben Engel und der Highspeedrettungsaktion schmeissen wir unseren Motor an und lassen Oaramu hinter uns.

Dienstag, 26. April 2011

Mt. Cook

Obwohl Ruth, Patrick und ich verabredet haben, heute mal ein bisschen frueher aufzubrechen, kommen wir doch erst wieder um zehn Uhr los. Patrick troedelt wie immer und Ruth hat sich eine ordentliche Mandelentzuendung eingefangen. Vom Lake Tekapo rufen wir den naechstpraktizierenden Arzt an (40 km entfernt) und muessen erfahren, dass der fuer die komplette naechste Woche keine Termine mehr frei hat. Kein Wunder bei so einem grossen Einzugskreis...
Dann bleibt uns wohl nichts anderes uebrig als "zurueck zu Plan A", auf zu Mount Cook. Die Fahrt dahin offenbart grossartige Aussichten auf den milchigblauen Lake Pukaki und die Southern Alps - trotz Wolken, die fest zwischen den Bergen eingeklemmt sind. Immerhin zwischendurch koennen wir sogar den Gipfel von Neuseelands hoechstem Berg im Sonnenlicht glitzern sehen. Dessen 3754 Meter sind tatsaechlich gewaltig. Ab und zu muss ich vor lauter Begeisterung scharf bremsen, sodass der Kies unter unseren Reifen knirscht und sich die Gelegenheit fuer ein Foto bietet. Vor lauter "WOW"en faellt es mir schwer, mich auf die Strasse und aufs Atmen zu konzentrieren. Einfach toll! 




 


Selbst das Visitor Centre im winzigen Mt. Cook Village ist eine Klasse fuer sich: lichtdurchflutet, modern, hervorragendes Informationsangebot und blitzblankgeputzte Panoramafenster. Leider gibt es im Doerfchen am Ende der Mount Coook Road, einer 40km langen Sackgasse, nur zwei Hostels - beide gnadenlos ueberteuert. Wir entscheiden uns daher, nur eine kuerzere Wanderung zum Kea Aussichtspunkt, dem Gletscher und einer Swingbridge zu machen. Leider ist Ruth gesundheitlich so angeschlagen, dass mehr Laufen heute nicht drin ist. Die Nacht wollen wir im anderthalb Stunden entfernten Omarama verbirngen.








Ganz verzaubert von unserem Wintermaerchen trudeln wir in der Buscot Station, unserem Hostel in Omarama ein. Das Bauernhaus liegt romantisch inmitten gruener Wiesen, orangebelaubter Baeume und sanfter Berghuegel. Dass Eigentuemer Tony ein grosser Deutschland-Fan ist, ist kaum uebersehen. Sei es der Willkommensgruss, die Beschriftung der Abfalleimer oder die Hinweise zur Wassernutzung - alles ist auf deutsch, nur selten mit einer englischen Uebersetzung ergaenzt. Englaender Tony ist ganz stolz auf seine Sprachkenntnisse und macht keinen Hehl aus seiner Bevorzugung der deutschen Backpacker. Ein wenig verschroben und nicht besonders gastfreundlich Ruth und anderen internationalen Touristen gegenueber, finde ich. Dennoch mal wieder eine "echte Marke", die ich hier kennengelernt habe. Und schliesslich ist Reisen - im Gegensatz zur Mount Cook Road - keine Einbahnstrasse. Munter rattert Ruth die von mir gelernten Sprichwoerter runter: "Was geht, Digga? Alles klar? Das Leben ist kein Ponyhof", ruft sie. "Stimmt genau", entgegnet Tony. Patrick und ich koennen uns ein Grinsen nicht verkneifen.