Sonntag, 6. Februar 2011

Hinter den Kulissen (Teil 2)

Ein frisch gebackenes Toertchen, hausgemachter Kuchen und liebevoll zubereitete, nahrhaftgesunde Gerichte. Eine Versuchung, ein Genuss, ein Traum - im wahsten Sinne des Wortes...

Es folgt ein Insiderbericht aus dem Leben einer Kuechenhilfe:

1. Aufgaben-/Rollenverteilung
In einer Grastrokueche gibt es eine klar struturierte Arbeitsverteilung, die in der Regel auch die Befehlshierarchie wiederspiegelt.
Der (in diesem Fall eine "die" - was ich sehr begruesse!) Kuechenchef(in) ist hauptverantwortlich fuer alles, was die Kueche verlaesst. Ist das Steak medium anstatt durch, das Essen nicht schnell oder heiss genug oder fehlt eine Komponente, muss Kathy dafuer geradestehen. Und wenn sich das Unmoegliche, das absolute No-Go, der kulinarische Supergau ereignet, wenn der Gast im Essen etwas findet, was dort definitiv nicht hineingehoert, ein Haar, eine Eierschale oder (und ja, auch das ist leider vorgefallen) eine Scherbe, dann verlaesst der Kapitaen seine Bruecke und begibt sich mit demuetig gesenktem Haupt hinaus aufs offene Meer, um sich dem Sturm von Beschimpfungen, Klagen und Drohungen zu entgegenzustellen.
Platz 2, 3 und 4 in der Rangfolge einer Kuechenhiercharchie nehmen die kleinen Kochelfen ein (Rick, Holly und Tracey), die wieselgleich von einem Teller zum naechsten springen und vom Beilagensalat  ueber  Fish 'n Chips bis hin zur Suppe alles herbeizaubern muessen, was von der Chefin verlangt wird.
An unterster Stelle steht der weithin bekannte Tellerwaescher, der es wohl in den seltestensten Fallen zum Millionaer schafft, vielmehr als verbitterter, rueckenkranker Fruehpensionaer endet, der sich beim Heben der Geschirrcontainer und dem staendigen Buecken ueber das viel zu niedrige Spuelbecken im Alter von 23 Jahren einen Bandscheibenvorfall zugezogen und diesen niemals wirklich hat behandeln lassen, weil er nach einer zehn-Stunden-Schicht viel zu kaputt (und ausserhalb der Oeffnungszeiten einer Praxis) war, um zum Arzt zu gehen. Wenn der "Dishwasher" "seine" Teller schnell genug sauber und trocken bekommt (oder sich jemand erbarmt, um ihm mit "seinem" Geschirr zu helfen) und wenn er sehr viel Glueck hat und an eine Kuechenchefin wie Kathy geraet, dann darf er hin und wieder mal weg vom Spuelbecken und ran an die Lebensmittel: riesengrosse Backbleche mit zu 90 Prozent aus Schwarte bestehendem Speck belegen, Gemuese schnibbeln, Kartoffeln klein schneiden (nein, diese werden hier nicht geschaelt), einfache Gerichte zubereiten, die Auslage mit Backwaren, Sandwiches und Salaten auffuellen. Genau dieses Glueck hatte ich.

2. Umgangston
Es wuerde wohl niemanden verwundern, wuerde ich an dieser Stelle von blaffenden Chefs und Kollegen berichten, die anstatt "bitte" und "danke" lediglich die Woerter "schnell" und "jetzt sofort" beherrschen. Und genau so habe ich den Umgangston in einer deutschen Restaurantkueche erlebt, in der ich gluecklicherweise nur als Kellnerin von Zeit zu Zeit einen Fuss gesetzt habe. 
Aber: Es geht auch anders. Kaum zu glauben, dass sich in der Kueche des Taste-Cafes, 10 Roberts Street,  Lakefront, Taupo, Neuseeland, eine Kommunikation etabliert hat, die von Respekt und Hoeflichkeit gepraegt ist.
Ausnahmen bestaetigen die Regel: Nach gerade mal zwei Wochen Einarbeitungszeit war meine Kollegin Holly fuer mein Empfinden ein wenig zu selbstsicher (um nicht zu sagen, unfreundlich) geworden. Das ein Meter fuenfzig Fraeulein hatte sich ziemlich schnell angewoehnt, ihre Kollegen aus der Kueche und die Maedels aus dem Service wahlweise anzupampen oder rumzukommandieren. Ich fuehrte ein kleines "Unter-vier-Augen-Gespraech" mit ihr, indem ich ihr "im Guten" zu sagen versuchte, dass sie sicher nicht lange hier bleiben wuerde, sollte sie sich weiterhin so verhalten. Und als ob ich einen siebten Sinn gehabt haette, erteilte ihr Jo, die Managerin, am naechsten Tag vor versammelter Belegschaft eine ordentliche Ansage, ihren Kram gefaelligst selbst zu erledigen und den Ball im Allgemeinen flach zu halten. Das sass. Holly rollte von da an nur noch unauffaellig die Augen, sagte ab und zu auch mal bitte ("thank you" gehoert immernoch nicht zu ihrem Wortschatz, dafuer ist die Kleine zu cool: "Cheers, bro!" "Aeh, ja, gern geschehen, Bruder!") und gab nur noch in 50 Prozent der Faelle Widerworte.
Auch der zart besaitete Rick, der Souchef, bekam sein Fett weg. Waehrend der stressigen Neujahrszeit bat Inhaberin Kay Rick, ihr "straight away" einen Salat zuzubereiten. Als er offenbar nicht enthusiastisch genug reagierte, erteilte ihm Kay eine saftige Lektion in Sachen Arbeitsmoral - abermals vor den Augen und Ohren aller Kollegen. Waehrend ich noch darueber nachdachte, wie ernst es sein musste, wenn die freundliche und lebenslustige Kay mal deutliche Worte spricht, bekam ich von ihrem Mann Darren prompt einen Rueffel verpasst, die Tassen im Spuelbecken nicht so sehr aneinanderschlagen zu lassen. Oha, die beiden schienen keine gute Nacht gehabt zu haben.

3. Sauberkeit
Auch in diesem Fall eine Ueberraschung: Ein neuseelaendisches Cafe kann deutlich sauberer sein als ein deutsches Restaurant. Besonders natuerlich, wenn Inhaber Darren sich reinhaengt. Dann werden nach Schliessung des Cafes nicht nur alle Lebensmittelcontainer und Tupperboxen fein saeuberlich beschriftet und datiert, alle verwendeten Pfannen, Toepfe, Teller, Tassen, Untertassen, Gabeln, Messer, Loefffel, Behaelter, Regale, Kuehlschraenke, Bleche, Ablageflaechen, Geraete, Oefen und Boeden gesaeubert, sondern auch Waende, Tueren und - Achtung - Decken. Das bedeutet, dass waehrend im Gastraum die "Custumor" noch schlueckchenweise Kaffee schluerfend das kostenlose W-Lan nutzen, wird hinter den Kulissen bereits emsig aufgeraeumt und geputzt. Dieser Prozess kann unter Umstaenden ueber zwei Stunden beanspruchen, mindestens aber eine Stunde taeglich - nachdem der letzte Teller rausgetragen wurde. Dennoch ist das Fett unbarmherzig, es setzt sich ueberall ab, backt sich fest und kaempft bis zum letzten Atemzug ums Ueberleben. Und: Es kommt immer wieder. Ein echter Kampf gegen Windmuehlen, jeden Tag. 

4. Gewinnspanne
An einem guten Tag nimmt das Cafe 8000$ ein; an einem schlechten 6000$. Ein Jahr zuvor, als es noch nicht die Verbindungsstrasse zwischen Auckland und Wellington ohne Umweg ueber Taupo gab, waren die Einnahmen doppelt so hoch. Ich verdiene 13,50$ pro Stunde; Jo und Kathy, die seit zehn und 15 Jahren den Laden schmeissen, 20$; die Maedels aus dem Service und die anderen aus der Kueche irgendwas daziwschen. Durschnittlich arbeiten etwa zehn Personen acht Stunden pro Tag. Macht in etwa 1200$ Gehaltskosten. Dazu kommen noch Verbauch (Strom, Wasser, Gas, Internetgebuehren), die Lebensmittelbestellungen und gelegentlichen Neuanschaffungen. Bedenkt man, dass den Mitarbeitern noch nicht mal freie Getraenke (geschweige denn Essen) genehmigt werden (gerade mal zehn Prozent Rabatt) und zerschlagene Teller oder Missgeschicke wie das Fallenlassen von drei Bioeierschachteln a 30 Stueck (rein fiktives Beispiel; nicht, dass mir das passiert waere...) vom Gehalt abgezogen werden, koennen sich Kay und Darren vermutlich nicht ueber ein allzu entbehrungsreiches Leben beklagen.

5. Das Menu
In einer Kueche wie dieser, die gross genug ist, um Fruehstueck, Lunch und Dinner, um warme und kalte Speisen und eine kleine Auswahl an Desserts anzubieten, jedoch zu klein, um als Grossabnehmer zu gelten und erwaehnenswerte Mengenrabatte bei den Lebensmittellieferanten zu erhalten, gilt das Prinzip: "aus wenig mach' viel!" Aus zwei Scheiben Toast, etwas Raspelkaese und einer Vierteltomate wird mit Geschick und ein wenig Balsamicoessenz (der gastronomischen Allzweckwaffe) ein durchaus ansehnlicher Snack gezaubert, der sich fuer 5$ bis 7$ verkaufen laesst. Die Suppe des Tages ist natuerlich bereits vorgekocht (eine breiige Kuerbismasse oder zur Abwechselung auch mal Instantbruehe mit ein bisschen Gemuese und Huehnchenfleisch) und wird bei Bedarf schnell erhitzt, mit etwas Knoblauchbrot und Sprossen angerichtet und fuer 10$ an den Mann gebracht. Der himmlisch saftig gehaltvolle Schokokuchen und der Carrotcake werden von der Baeckerei geliefert (je 50$) und mit einem Klecks Sahne fuer 7$ das Stueck serviert (bei 16 Stuecken pro Kuechn entspricht das einem Gewinn von ueber 100 Prozent). Die Pies (gefuellte Blaetterteigpasteten), Muffins und Biscuits werden in Massenproduktion hergestellt (an ruhigen Nachmittagen habe ich bis zu 100 Pies gebacken), im Kuehlraum gelagert und bei Bestellung einzeln in der Mikrowelle erwarmt. Eine Pastete kostet 6$. Ich wuenschte, ich waere nach Produktionsmenge bezahlt worden...

1 Kommentar:

  1. Toll, wie du mal eben die Einnahmen und Ausgaben überschlagen hast. Typisch, Nini-Hasi :)! Ich hätte nur noch mit genaueren Zeitangaben gerechnet: von 8:23 Uhr bis 13:57 Uhr. Hihi.
    Das Bunny

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