Freitag, 3. Dezember 2010

Tongariro Alpine Crossing

Nach unserem Kanutrip auf dem Whanganui-River fahren wir weiter nach (Tongariro) National Park. Ein Ort, der seine Existenzberechtigung nur durch den Tourismus erhaelt. Im Winter starten hier Massen an begeisterten Ski- und Snowboardfahrern zum Mount Ngauruhoe, dem hoechsten der drei Vulkankegel in der Region. Im Sommer bringen Shuttlebusse Wanderer zum beruehmt-beruechtigten Tongariro Alpine Crossing, der angeblich schoensten Tageswanderung in Neuseeland. Da die Wettervorhersage fuer die naechsten Tage nichts Gutes verheisst, lassen wir uns von unserer Herbergsmutter ueberreden, bereits am naechsten Tag mitzufahren. 
Der Tag der grossen Wanderung berginnt mit eher deutschem Novembernieselwetter; der Himmel traegt einen grauen Overall. Bereits um sieben Uhr wartet der Zubringerbus vor dem Hostel auf uns. Unsere Ausruestung:

- 4,5 Liter Wasser
- Butterbrote
- Muesliriegel
- Aepfel
- Regenjacke
- mehrere Fliespullover
- Wanderschuhe
- Wandersocken
- bequeme Shorts
- Muetze
- Handy

Bevor wir starten duerfen, warnt uns der Busfahrer eindringlich vor Gefahren entlang des Tracks und drueckt uns eine Visitenkarte mit Notfallnummer in die Hand - sollte uns das zu denken geben? Gemeinsam mit etwa 50 anderen Unerschrockenen machen wir uns auf den Weg. In der Hauptsaison sollen es taeglich etwa 700 pro Busgesellschaft sein.
Der erste Streckenabschnitt ist noch sehr moderat, um nicht zu sagen einfach. Er fuehrt an einem Bach und den Soda Springs vorbei. Dennoch kann ich die Landschaft nicht wirklich geniessen, die ganzen Warnungen haben mich ein wenig nervoes gemacht - ebenso wie die Tatsache, dass am Ende des Tracks zwei Busse auf uns warten werden. Verpasst man den ersten, kein Problem. Verpasst man den zweiten, schickt das Department of Conservation ein Suchteam los.
Durch zunehmend dicker werdenden Nebel kann ich eigentlich nur die bunten Farbklekse ausmachen, die sich als Teil der Ameisenkolonne vorwaerts bewegen. Dann stehen wir am "point of no return". Auf dem Schild steht in grossen Lettern: "STOP! ARE YOU WELL PREPARED?" Wir werden angehalten, unsere Ausruestung und unsere Kondition gewissenhaft zu pruefen. Wir schlucken einmal schwer und lassen dann den letzten Warnhinweis hinter uns.

erster Streckenabschnitt: machbar!

Nach einer halben Stunde sind die Klamotten bereits ziemlich feucht

Kupferkies

Das naechste Stueck, die "devils staircase", die Teufelstreppe, bringt uns einige Hoehenmeter in Richtung Himmel. Wir kaempfen gegen Regen, Wind und Atemnot.
Dann geht es durch den "South Crater", eine Mondlandschaft. Karger, brauner Boden, Steine und Staub, der durch den Regen zu Schlamm geworden ist. Immer noch Regen und Wind. Eine Herausforderung fuer Mensch und Material. Letzteres hat bereits aufgegeben. Ve und ich kaempfen weiter.


Schon ueber sechs Kilometer liegen hinter uns


natuerlich nass

Es folgt der haerteste Streckenabschnitt: der Aufstieg ueber loses Geroell und rutschigen Lehmboden bis auf knapp 1900 Meter. Der Regen klatscht mir ins Gesicht. Meine Jacke, meine Hose, alles ist durchgeweicht. Und kalt. Hier oben zeigt das Thermometer nur noch zehn Grad an - meine Beine fuehlen sich an, als waeren es null. An eine Verschnaufpause ist nicht zu denken. Inzwischen setzen wir nur noch schwer atmend einen Fuss vor den anderen. Vor mir sehe ich, wie von Ves Rucksack das Wasser tropft. Ansonsten kann ich kaum etwas erkennen. Der Wind drueckt uns erbarmungslos an den Kraterrand. Ich ueberhole ein Maedchen, das weder eine Kopfbedeckung noch eine Jacke oder festes Schuhwerk dabei hat. "Es gibt immer jemanden, der noch schlechter dran ist als du", denke ich und gehe weiter. Dann erreichen wir den hoechsten Punkt der Strecke. "Wir sind oben", bruelle ich Ve entgegen. Der Wind antwortet: "Lass uns schnell weiter, um hier rauszukommen!" Gipfelstimmung hoert sich anders an. Allmaehlich bekomme ich eine Vorstellung davon, warum Peter Jackson diese Vulkanlandschaft fuer seine Herr-der-Ringe-Trilogie als Hoellenschlund von Mordor ausgewaehlt hat... 
 
hartumkaempfter Aufstieg

Der Abstieg ist eher ein Abrutschen. Auf einer Welle aus schwarzem schlammig-schmierigem Lavastaub verlieren wir schliddernd an Hoehe. Ich fuehle den Regen an meinen Beinen herunterlaufen. In unseren Schuhen matscht und schmatzt es. Ich bin ueberrascht, dass wir das angekuendigte Highlight des Tracks, die drei milchig-tuerkisfarbenen Emerald Lakes ueberhaupt erkennen koennen. Waehrend ich noch die Kamera raushole und gegen den Regen abschirme, zieht es schon wieder zu und die Seen verschwinden hinter einem weissen Schleier.
Wir trauern ein wenig um die verpasste Moeglichkeit eines netten Picknicks am Uferrand und gehen weiter. Selbst bei schoenem Wetter waere das jedoch nicht moeglich gewesen, da der Ort fuer die Maori "tapu" (heilig) ist und Wanderer gebeten werden, dies durch gebuehrenden Abstand zu respektieren.


Lavasand


einen Augenblick lang "freie" Sicht auf den groessten der Emerald Lakes

Nach einem kurzem unglaeubigen Moment im Schnee kommt die naechste Ueberraschung: Windstille. Ve und ich nutzen den Wetterumschwung fuer unsere erste Pause. Waehrend wir im "Red Crater" stehend unser Butterbrot mampfen und einen Schluck trinken, hoeren wir einen Schrei. Mein triefnasses Handy vibriert um Hilfe; die Software ist voellig abgestuerzt. Um es zum Schweigen zu bringen, hilft nur noch Akku rausnehmen. Und wer wechselt meine Batterie?
mit Shorts im Schnee

Picknick im Stehen - das hatten wir uns anders vorgestellt

Die vorletzte Etappe ist quasi ein Kinderspiel. Der Regen hat aufgehoert, der Wind macht eine Pause. Es geht in Serpentinen leicht bergab. Man kann sogar weiter als 100 Meter sehen und in einem wahnsinnigen Moment meine ich, ein Stueckchen blauen Himmels zu erkennen. An der Huette treffen wir die anderen aus dem Bus und etwa 20 weitere Wanderer. Uns verbindet nichts ausser der Tatsache, dass wir den schlimmsten Teil ueberstanden haben - und wohl schon alle ein Stueck weit stolz und erleichtert sind.

Regenpause!
Huettengaudi
Auf dem Weg ins Tal scheuert meine klamme Hose an den Beinen, das tut verdammt weh. Inzwischen bin ich ziemlich muede und geschafft. Trotzdem muessen wir noch etwa sieben Kilometer durch den Busch zuruecklegen. Meine Kreafte gehen zur Neige, ebenso wie unser Vorrat an Energyriegeln.

Nach sieben Stunden und 19,4 Kilometern erreichen wir endlich den Parkplatz und lassen uns auf den Rasen fallen. Als wolle der Himmel uns verspotten, laesst er einige tonnenschwere Tropfen auf unser Gesicht fallen. Unglaublicherweise waren wir sogar schnell genug fuer den ersten Bus. Auf der halbstuendigen Rueckfahrt zum Hostel fallen unsere Koepfe beide auf die Seite. Ich traeume von einem heissen Bad und dem Schicksalsberg.

geschafft.

2 Kommentare:

  1. In kurzen Hosen?? Tapferes Mädchen ;) ...machst mich immer ganz neidisch mit deinen tollen geschichten.
    LG aus dem schon wieder verschneiten Hamburg und weiter so viel Spassvergnügen, Dagmar

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  2. Naja, nach Spassvergnügen klingt dein Bericht überhaupt nicht. Ihr könnt sicher stolz auf eure Leistung sein(alles unbeschadet ?? überstanden zu haben) aber würdet ihr es wirklich nochmal machen? Habt ihr die heiße Dusche danach genossen?
    Liebe Grüße, deine Eltern

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