Montag, 31. Januar 2011

Freier Fall

Weil mein Mitbewohner Jason mir das unschlagbare Angebot macht, bei einem Fallschirmsprung mit seinem Anbieter fuer mich Fotos und ein Video (for free) zu machen und weil das Wetter heute phaenomenal gut ist und weil ich heute einen freien Tag habe, sage ich JA - und buche den Sprung aus 15.000 Fuss (knapp 4600 Meter) fuer den Nachmittag. Jetzt, wo es offiziell ist, bekomme ich doch tatsaechlich ein wenig kuehle Fuesse. Eine sehr leise Stimme in meinem Hinterkopf fragt, ob ich das wirklich heute schon machen will. "Ist doch noch genug Zeit", sagt sie. "Wie waer's denn an deinem Geburtstag, uebernaechste Woche?" "Wer weiss, wie dann das Wetter ist! Und ausserdem muesste ich dann den vollen Preis fuer das Kombipaket zahlen, weil Jason nicht mehr da ist. Also heute!", antworte ich trotzig.
Als seelische Unterstuetzung nehme ich Lucy mit zum Flughafen, die andere Reynolds-Schwester Ruth muss leider arbeiten, verspricht aber, mir die Daumen fuer eine weiche Landung zu druecken. Als kleinen "Mutmacher" gibt sie mir noch die Geschichte eines Maedchens mit auf den Weg, das sich beim Aufsetzen ein Bein gebrochen hat. Na, dankeschoen! Lucy und ich werden mit einer weissen Limousine abgeholt, in der es leider weder Sekt zu den zu schoen aufgereihten Glaesern noch eine Klimaanlage gibt. Mir steht der (Angst?)Schweiss auf der Stirn. Meine erste Bonzenfahrt mit eigenem Chauffeur hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Aber gut, man will ja nicht ueberkritisch sein...

man beachte das Nummernschild und die Kuehlerfigur

Im Flughafenhanger werde ich mit einem sehr vorteilhaften Blaumann (hust), einer ganzen Menge Sicherheitsgurte, einem Schub Adrenalin und einem kahlkoepfigen Tandemmaster ausgestattet. Meiner nennt sich Hungo; vor 20 Jahren der erste ungarische Immigrant in Taupo. Waehrend ich ihn nebenbei befrage, ob dieser Job jemals langweilig wird, tut er sein Bestes, mich so bescheuert wie moeglich aussehen zu lassen. 

Dressup

da gehts rauf!
Dann gehts ab in den pinken Flieger, in dem etwa 15 Leute aufgereiht wie Fleischbaellchen am Grillspiess sitzen und einen auf cool machen. Ich bin zwar aufgeregt, aber nicht besonders aengstlich. Waehrend der 20 Minuten Flug versuche ich, die Aussicht zu geniessen und das staendige Rumgefummel von Hungo an meinen Gurten, meinem Anzug und meiner Fliegermuetze zu ignorieren. Als wir auf 10.000 Fuss sind, reicht er mir eine Sauerstoffmaske - hier oben ist die Luft ziemlich duenn. Mein Mund ist vollkommen ausgetrocknet, ich habe schrecklichen Durst und das Gefuehl, auf einer toten Katze rumzukauen.


Dann ist es soweit. Jason oeffnet die an ein Rolltor anmutende Schiebetuer an der Seite des Flugzeugs. Ich bin an zweiter Stelle. Das erste Grueppchen ist schon rausgehopst. Hungo schiebt mich in Richtung Luke, setzt mir die Fliegerbrille auf, nimmt die Atemmaske weg, zieht ein letztes Mal kraeftig an den Gurten und bruellt mir zum dritten Mal die Sicherheitsanweisungen ins Ohr: Kopf nach hinten, Haende an die Gurte, Fuesse unter den Ausgang klemmen, Ruecken zum Hoehlkreuz durchbiegen - oder in Kurzform: Bananenposition einnehmen! Es geht alles unheimlich schnell. Jason, der mit der Fotokamera auf dem Kopf, dem Ausloeser im Mund und der Videokamera auf der Schulter bereits am Fluegel haengt, nehme ich nur noch aus dem Augenwinkel wahr. Dann gibt Hungo mir einen Schubs und _____________________________________
Wir fallen. Ich hoere weit entfernt einen Schrei und begreife, dass ich es bin, die sich das Adrenalin aus dem Leib kreischt. Ich versuche, den Mund zu schliessen und durch die Nase zu atmen. Bei 200 Stundenkilometern unmoeglich. Es fuehlt sich an, als wuerde mir jemand mit einem Laubsauger auf hoechster Stufe direkt ins Gesicht blasen. Hungo klopft mir auf dei Schulter - das vereinbarte Zeichen zum Armeausbreiten. Auf einmal ist Jason direkt vor uns und grinst mich an. Ich versuche, alles ganz bewusst wahrzunehmen, kann mich aber nicht entscheiden, ob ich auf die Aussicht, den Luftwiderstand, mein flatterndes Gesicht oder meine zwei Flugbegleiter achten soll. Ich kriege keine Luft, mein Anzug flattert, meine Finger kaempfen gegen den "Fahrtwind".







Ploetzlich spuere ich, dass wir langsamer werden, Hungo hat die Reissleine gezogen. Als sich der Fallschirm entfaltet, merke ich einen sehr heftigen, nicht gerade schmerzfreien Ruck der Gurte. Wie ein Baby im Strampelanzug haenge ich in den Seilen. Fuer meine Ohren war der Fall von 15.000 auf 6.000 Fuss in 60 Sekunden zu viel. Beleidigt ueber die fehlende Vorwarnung stellen sie sich einfach taub. Nach einem Druckausgleich kann ich zumindest auf einem Ohr die Antwort von Hungo auf meine Frage nach seiner Berufszufriedenheit hoeren: "See that? That's my office. Not bad, ey?"  Als er ein paar Pirouetten dreht, jauchze ich entzueckt ueber das Achterbahngefuehl im Magen auf und kann nachvollziehen, was er meint. Nein, wirklich nicht schlecht, mein Lieber.


Nach unglaublich kurzen fuenf Minuten naehern wir uns in betraechtlichem Tempo dem Erdboden (von wegen "Gleitflug"!). Jason habe ich laengst aus den Augen verloren. Der Anweisung Hungos folgend, meine Beine so hoch wie moeglich zu halten (wie war das mit der Geschichte der Bruchpilotin?), maehen wir ueber die Wiese und setzen auf. Fuer einen Moment bin ich voellig verdattert, dann gluecklich und dann seltsamerweise unheimlich angezogen vom wohlduftenden, weichen Gras. Jason kommt mit der Kamera angelaufen und will tatsaechlich eine intelligente Antwort auf englisch hoeren. Pff. Dabei kann ich noch gar nicht glauben, dass es schon vorbei ist."Was soll ich sagen, Junge? Lass mich erstmal ankommen. Und wo warst du ueberhaupt?", will ich sagen und bringe nur ein schreckliches Gestammel raus. Vor gerade mal ein paar Minuten bin ich aus einem Flugzeug gesprungen. Mein Kurzzeitgedaechtnis ist noch nicht gelandet! Wie gut, dass ich eine Erinnerung in Form von Bildern und dem Video habe - ansonsten wuerde ich meiner eigenen Erzaehlung wohl kaum glauben.


Vorbildliche Haltung, oder?



6 Kommentare:

  1. Hey Hasi,
    ich hab schon beim Lesen das Adrenalin durch meinen Körper rauschen gehört. Uiuiuiuiui, toll! Weiterhin so viel Mut!
    Liebste Grüße
    das Bunny

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  2. Wow, das ist ja echt der Wahnsinn, dass du das gemacht hast! Alle Achtung, ich hätte mir das nicht getraut! Ich bin stolz auf dich!

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  3. Toll, Nina!!!
    Ich weiß nicht, ob ich mich das getraut hätte. Klasse!!! Und super Fotos!!!

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  4. Der Hammer, Nina! Ich hab schon Schweißausbrüche bekommen als ich die Story gelesen hab! Hab mich gefühlt als wär ich mittendrin, superspannend. Da hast du dir ja mal wieder eine ordentliche Dosis verpasst, von der einzigen Droge, die du dir gönnst .... :D

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  5. Mein Magen hopst beim Lesen mit, liebe Nina. Ich bin nicht sicher, ob ich an der Ausstiegsluke nicht doch einen Rückzieher versucht hätte.

    Aber dein Bericht klingt toll und seeeehr mutig!
    Respekt! Deine Mama

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  6. Krass!
    Super Text und super Bilder.

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