Montag:
Ueber den Verbund WWOOF (Willing Workers On Organic Farms) habe ich mir Arbeitsplatz und Unterkunft in einem am Lake Tarawera bei Rotorua organisiert. Nach vielen Kilometern auf einer "Dead-End-Road" komme ich endlich bei Hausnummer 459 an - hier wohnt meine Gastfamilie, bei der ich die naechste Woche verbringen werde. Guenther und Maria sind vor 15 Jahren aus Deutschland ausgewandert, um am anderen Ende der Welt ihren Traum vom eigenen Bed & Breakfast zu leben. Das Anwesen ist am steilen Hang mit Seeblick gebaut, in Eigenregie. Drei Jahre hat es gedauert, alle Wuensche und Vorstellungen in die Tat umzusetzen und alle Zelte in der Heimat abzubrechen. Mein neues Zuhause praesentiert sich mir von Anfang an im besten Licht: grosse Sonnenterrasse, bodentiefe Fenster ueber die gesamte Hausbreite, viel verarbeitetes Holz, offene Kueche, gemuetliche Sofas, Sessel und Sonnenliegen, ein unfassbar geraeumiges Gaestezimmer mit Queensizebett fuer mich und ein Garten, in dem Orchideen in Faessern wachsen und man den Schmetterlingsraupen beim Kokonspinnen zuschauen kann. Hausherrin Maria planzt hier Salat, Tomaten, Gurken, Mais, Spargel, Gewuerze, Melonen, Paprika, Quitten, Birnen, Aepfel, Zitronen, Macadamianuesse, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Mandarinen, Orangen, Feigen, Passionsfruechte, Weintrauben, Blutorangen, Nektarinen, Bananen und Aprikosen. Staunend streife ich durch den Paradiesgarten. Hier darf ich eine Woche lang kostenfrei wohnen und essen, atmen und sein.
Doch jedes Paradies beherbergt eine Schlange. Waehrend ich noch voellig ueberwaeltigt auf der Terrasse stehe und bewundere, begruesst mich Ramona, eine andere Wwooferin aus Deutschland. Das erste, was mir an ihr auffaellt, ist, dass ich sie nicht mag. Ich mag weder ihren Namen, noch ihre unrasierten Beine und schon gar nicht ihre Devise "Hier wird nur englisch gesprochen". Da kommt man sich schon ein bisschen bescheuert vor, wenn nur Deutsche anwesend sind... Zu Ramonas Glueck erhaelt ihr "guter Vorsatz" wenigstens den Hauch einer Berechtigung, als eine halbe Stunde spaeter Kevin (Portland, US) eintrudelt. Ein netter Junge, mit dem ich mich ueber Ramonas Paranoia vor Autoeinbruechen und stehlenden Maoris amuesieren kann.
Postente |
handliche Raupe |
Ausblick von der Terrasse |
Wohnraum |
Esstisch |
erster Sonnenuntergang |
Nachdem Maria uns Beerensammeln geschickt hat, sollen wir den Birnenbaum schuetteln. Wir sammeln etwa 400 der Wurfgeschosse von unserem und dem Nachbargrundstueck ein und schleppen die Massen den Hang hinauf. Zur Belohnung gibt's anschliessend ein Sandwich und eine kleine Fuehrung von Maria durch die Gegend (diese Haeuseransammlung ein "Dorf" zu nennen, waere vollkommen uebertrieben). Waehrend des Spaziergangs entlang der (einzigen) Strasse kommen uns hupend ein paar Nachbarn entgegen. Maria weiss zu jedem eine schluepfrige Geschichte zu erzaehlen. Ich schmunzelne darueber, dass sich Nachbarschaftsklatsch in Neuseeland auch nicht anders anhoert als in Deutschland.
Ramona und Maria am Bootssteg |
Zum Abendessen gibt es das "gute" Fleisch von der gluecklichen Kuh next door und natuerlich selbstgeerntetes Gemuese. So ganz "bio" scheint Maria aber dann doch nicht zu sein. Die Sosse wird mit aus Deutschland importierten Maggi angedickt und zum Nachtisch wird Eiscreme aus dem Plastikcontainer serviert. Schmeckt herrlich kommerziell und verboten. Weil Guenther die Woche ueber auf einer Aerztetagung ist und zur Zeit keine B&B-Gaeste da sind, spannt uns Maria als Couchgefaehrten fuer die Live-DVD von Sting ein. Anstandshalber bleiben wir vier Lieder lang tapfer sitzen und verabschieden uns schliesslich gaehnend in unser Zimmer. Nach vier Monaten schlafe ich das erste Mal auf mehr als 100x90cm und fuehle mich wie zu Hause.
Obwohl es um halb acht Fruehtsueck geben sollte, ist von Maria um acht Uhr noch nichts zu sehen. Ueberdosis Sting, nehme ich an. Irgendwann taucht sie mit verknautschtem Gesicht auf und gibt uns Anweisungen fuer den Tag. Fuer Kevin heisst es ranklotzen; er soll jede Menge Geroell verladen. Wir Maedels waschen, schaelen und schneiden Birnen, was das Zeug haelt, kochen Chutney, Marmelade, Kompott und Einmachfruechte. Nach fuenf Stunden kann ich keine Birnen mehr sehen (geschweige denn essen) und bin froh ueber eine herzhafte Alternative zum Mittagsessen. Den Nachmittag haben wir zu unserer freien Verfuegung. Ich nutze die Zeit zum Lesen und Sonnenbaden. Ganz schoen heiss. Den Wolken wird es auch ein bisschen zu warm; sie tuermen sich auf, zeigen ihre dunkle Seite. Als es am Abend in Stroemnen regnet, kochen wir Muscheln in Sahnesosse.
Mittwoch:
Birnenbad |
immer schoen geradeaus |
Seegefluester |
Mittwoch:
Heute Vormittag helfe ich Kevin beim "leveln" und Schubkarrenfahren, bearbeite weiter die Birnen und fahre am Nachmittag mit Ramona und Kevin zum Redwoodforest, um einen anderthalbstuendigen Track zu laufen. Ramona blubbert weiter vor sich hin, denglisch natuerlich; laesst nicht locker, sobald sie mit ziemlicher Treffsicherheit das Thema gefunden hat, auf das man gerade am wenigsten Lust hat. Besonders unangenehm wird es beim Abendessen, als Maria und Ramona aneinandergeraten. Dieses Maedchen kann offenbar nicht nur mir gehoerig auf den Senkel gehen. Ich rutsche nervoes auf meinem Stuhl herum und auch Kevin fuehlt sich sichtlich unwohl. Schliesslich befreien wir die beiden Streithaehne aus ihrer festgefahrenen Diskussion und laufen zum Nachbargrundstueck, auf dem man besonders gut Gluehwuermchen gucken kann. Einmal tief durchatmen und entspannen... Auf dem Rueckweg biegen wir kurzentschlossen zum Bootssteg ab. Kevin hat seine Profikamera mitgenommen, ich meine Taschenlampe. Ich male ein Herz in den Himmel und fuehle mich das erste Mal seit meiner Ankunft rundum gluecklich.
Donnerstag:
Vier Kubikmeter Erde zu verladen hoert sich nach jeder Menge Spass an - wenn man einen grossen Bagger zur Verfuegung hat. Wenn die Ausruestung jedoch nur aus einer Schubkarre, zwei Eimern und zwei Schaufeln besteht, ist das eine richtige Drecksarbeit. Zudem muessen nicht etwa ein paar ebenerdige Meter ueberwunden werden, sondern eine Auffahrt mit sanfranciscanischen Steilheitsgraden - oder als Alternative: ziemlich viele hohe Stufen. Es braucht vier Stunden, sechs ehemals samtweiche, jugendlich unverbrauchte Haende, drei Liter Wasser, geschaetze 200 Eimerladungen und drei hoch motivierte Wwoofer, um diese Aufgabe zu bewaeltigen.
Weil ich an diesem Tag offenbar zu gut gefreuhstueckt habe (ich bin ein richtiger Fan von Porridge mit Milch, Zimt, Zucker und Fruechten geworden), bin ich am Nachmittag immernoch fit genug, um mit Kevin die Kanus aus dem Schuppen zu holen und auf den Lake Tarawera hinaus zu paddeln. Mir tut die ramonafreie Zeit unheimlich gut: endlich mal seinen eigenen Gedanken nachhaengen, wie schoen...
Freitag:
Heute sind am Vormittag wieder mal die Birnen dran (dieses Mal pressen wir Saft). Als wir endlich alle Fruechte verarbeitet haben, schuettelt Kevin den naechsten Baum und wir brechen fast unter der Last von Williamsbirnen zusammen. Zur Abwechselung goennen wir uns mal ein paar Quitten, die geschmacklich allerdings nicht mit den Birnen mithalten koennen.
Nach getaner Arbeit fahren wir zum Eisessen und Bummeln nach Rotorua. Als Ramona mal wieder ein paar grammatikalische Klopper raushaut, kann ich dieses Mal herzhaft lachen. Kevin und ich brauchen uns nur noch anzuschauen und schoen prusten wir los. Immerhin meint es Ramona nicht boese und kann ueber sich selber lachen. Langsam aber sicher spuere ich den Entspanntheitsgrad der letzten Wochen zurueckkehren. In Kevin habe ich einen guten Englischlehrer gefunden, der hartnaeckig aber charmant an meiner Aussprache und meinem Wortschatz arbeitet. Vorm Schlafengehen schlagen wir uns die Baeuche mit Pizza voll (wenn schon ungesund, dann richtig) und fuehren eine lebhafte Unterhaltung ueber Reiseerfahrungen. Klappt. Ich denke, ich kann stolz auf meine sprachlichen Fortschritte sein. Das findet auch Kevin: "You're a good student"' fluestert er in die Dunkelheit, als wir bereits in unseren Betten liegen. "And you're a good teacher", echoe ich ohne zu zoegern.
Samstag:
Letzter Arbeitstag! Na, wenn das keine gute Motivation fuer's Birnen- und Quittenschaelen ist. Waehrend Ramona und ich Seite and Seite (nicht mehr gegenueber) schnippeln und uns unterhalten, merke ich, dass wir uns nicht nur raeumlich ein grosses Stueck naeher gekommen sind. Ich hoere sie das erste Mal freiwillig deutsch sprechen und bin ueberrascht, wie viele Sympathiepunkte ein schwaebischer Dialekt gutmachen kann. Mannomann, das hat lange gedauert, um eine gemeinsame Ebene zu finden.
Unseren freien Nachmittag nutzen wir heute, indem wir zu einer einsamen Bucht am anderen Seeufer fahren, die zwar weniger zum Planschen (sehr steiler Abgang ins Wasser), dafuer aber gut zum Schwimmen geeignet ist.
Sehr entspannt und zufrieden wollen wir den Rest des Tages mit Lesen und Reiseplanen verbringen. Diese Rechnung haben wir ohne Gastmutter Maria gemacht. Obwohl die Ansage "heute spaetes Abendessen" lautete, kommt Maria um sechs Uhr in unser Zimmer gestuermt und beschwert sich darueber, dass ihr keiner beim Kochen hilft. Und ihr sowieso... nie... irgendjemand... unter die Arme greift... wobei... es doch so schwer fuer sie ist... Da sie den Sermon auf deutsch runterleihert, hat Kevin keine Chance, sie zu verstehen. Das ist nicht fair, finde ich, und werde motzig. Wenn schon tadeln, dann bitte gleichberechtigt. Zum Runterkommen verabschiede ich mich nach draussen und sammle mit Ramona ein paar frische Kraeuter. Gemeinsames Aufregen hilft. Interessant, wie sich meine Sympathien fuer Ramona und Maria waehrend der Woche in ziemlich entgegengesetze Richtungen entwickelt haben. Deswegen kann ich es auch kaum mit anhoeren, als Maria schliesslich beim Essen (um halb zehn!) der armen Ramona eine Endlosstandpauke haelt. Ziemlich respektlos und unverschaemt, meine ich. Weil ich mich einmische und eine Lanze fuer Ramonas Gutmuetigkeit breche, werde ich als naechstes von Maria in die Mangel genommen. Es hagelt Bescherden ueber "den Wwoofer im Allgemeinen" und den harten Arbeitsalltag einer Hausfrau - und dann fliessen Traenen. Herrje. Ich troeste ein wenig, umarme, "ja, es ist ja alles so schwer". Nach dreimaliger Entschuldigung Marias in meine Richtung (mmh, und was ist mit Ramona?) darf ich endlich loslassen und ins Bett gehen. Erschoepft falle ich aufs Bett und bewege mich bis zum naechsten Morgen kein einziges Stueck.
Sonntag:
An unserem freien Tag duerfen wir machen, was wir wollen. Ramona will zu den Thermalpools, Kevin und ich zu den Hamurana Springs, einer Suesswasserquelle in der Naehe vom Lake Rotorua, und den Okere Falls. Nach einem kurzen Gang durch den dicht bewachsenen Busch "uebersehen" wir eine Absperrung bei den Felsen unterm Wasserfall und finden uns in einer wunderbar feuchtgruseligen Hoehle wieder. Ein richtiges Abenteuer.
Abends, als Ramona endlich vom ihrem Tagesausflug zurueckkehrt, liegen wir zu dritt auf meiner riesigen Matratze und gucken Fotos. In Marias Gaestebuch schreibe ich einen diplomatischen Kommentar a la "Vielen Dank, dass ihr uns bei euch aufgenommen habt. Ihr habt euch hier ein richtiges Paradies geschaffen. Das Essen war super. Danke fuer die interessante und unvergessliche Zeit." Mit Ramona und Kevin tausche ich Nummern aus, weiss aber tief im Innern, dass wir uns wohl nicht wiedersehen werden. Diese Einsicht faellt nicht leicht - egal wie hart man daran gearebeitet hat, jemanden (nicht) zu moegen.
So ein schöner Bericht! Richtig spannend zu lesen.. Busserl
AntwortenLöschenseh ich auch so. einer deiner besten! xjulix
AntwortenLöschenps: und was für ne extrem coole raupe!!!!! :D
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