Mittwoch, 16. März 2011

Eastcape


Nachdem ich meine Reisepartnerin Monique nach Auckland zum Flughafen gebracht habe, mache ich mich auf den Weg Richtung Eastcape. Leider gerate ich auf dem Highway raus aus der Grossstadt mitten in den Freitags-Feierabendverkehr. Doof. Ich waehle die fruehstmoegliche Abfahrt, um auf der Landstrasse weiterzufahren. Dass es grau nieselt und weiss nebelt macht mir nicht allzu viel aus. Irgendwie verleiht dieses Wetter der Umgebung eine sehr mystische Atmosphaere. Im Golden Owl Backpackers in Karangahake Goerge darf ich allein in einem Vierbettzimmer schlafen, eine echte Wohltat - vor allem im Vergleich zu den vollgestopften Hostels in Auckland. 



Das Motto des naechsten Tages lautet: Regen, Regen und nochmal Regen. Einen Unterschied in der Niederschlagsmenge kann ich nur daran erkennen, dass ich meinen Scheibenwischer von "schnell" auf "sehr schnell" und wieder zurueck schalten muss. Leider faellt damit meine geplante Wanderung in Karangahake entlang der alten Eisenbahnstrecke und durch einen Tunnel ins Wasser. Ich ringe mit mir, trotzdem loszulaufen, entscheide dann aber, dass es einfach zu heftig schuettet. Dann wird heute eben Strecke gemacht. Mit Cookies und Studentenfutter auf dem Beifahrersitz und Radiomusik von vor zehn Jahren lassen sich gut einige Kilometer zuruecklegen. 
Mein naechstes Hostel, das Opotiki Beach House, ist wunderbar klein, einsam und haelt, was der Name verspricht: Es liegt direkt am Strand. Ich packe mich in wetterfeste Klamotten und trotze Wind und Wetter. Wenn man das Meer schon vor der Haustuer hat... Das finden meine Mitbewohner, vier Jungs aus Napier, offenbar auch. Trotz tosendem Westwind und gefuehlten Minusgraden schmeissen sie sich mit dem Surfboard bewaffnet in die schaumiggrauen Wellen. Respekt. Obwohl ich begeistert zuschaue, komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob der neuseelaendische Sommer wirklich schon vorbei sein soll.


Nachdem ich am Tag zuvor das erste Mal ueberhaupt verschlafen habe, stehe ich heute wieder puenktlich zum Weckerklingeln um acht Uhr auf. Noch etwas zermatscht fruehstuecke ich mein "German Bread", das ich - welch ein Glueck - im New World Supermarkt entdeckt habe, und plaudere mit einem aelteren Ehepaar aus Schweden. Dann mache ich mich auf die Socken und fahre zum Hukutaia Reserve, einem Naturpark in Opotiki (Anmerkung der Verfasserin: Nein, ich merke mir nicht alle dieser seltsamen Namen auf Anhieb; vielmehr muss ich meist drei Mal nachschauen, bis ich endlich in der Lage bin, die Orte auf den Strassenschildern denen im Reisefuehrer zuzuordnen). Ein halbstuendiger Rundgang fuehrt mich an Kauri-, Pohutukawa- und Cabbagetrees vorbei. So stelle ich mir den Regenwald in Borneo vor: feucht, schwuel, dicht bewachsen. 




Dann duese ich das gesamte sehr duenn besiedelte Eastcape entlang, halte hier und da fuer einen Fotostopp (grummel, bei so einem Wetter wird das doch nichts) oder eine kurze Verschnaufpause von der Dauerregenfahrt. In einem Cafe entlang der Strecke trinke ich eine lauwarme Schokolade und probiere einen Macadamia-Chocklate-Cookie. Die 20km zum Leuchtturm am oestlichsten Ende Neuseelands (und damit dem Ort auf der Welt, den die Sonne zu Beginn jeden Tages als erstes kuesst) sind mal wieder ungeteert. Obwohl es immernoch aus Kuebeln giesst, will ich mir nicht die Tour vermiesen lassen und stapfe verdrossen die 776 Stufen rauf bis zur Aussichtsplattform. Unter meiner winddichten Thermojacke entwickele ich dabei eine schoenes Mikroklima, meine Brille ist von innen beschlagen und von aussen tropfnass und meine Haare kleben unter der Fliesmuetze an der Stirn. Die Aussicht ist natuerlich bescheiden. Hach, macht eben doch alles mehr Spass, wenn die Sonne scheint. Dafuer gibt es auf der weiteren Strecke einen bewundernswert tiefhaengenden Wolkenteppich in den steil bedschungelten Haengen auf der Landseite und die rauen Strandgutkuesten auf der Seeseite des Eastcapes zu sehen. 








An der Tokomaru Bay muss ich eine ganze Zeit suchen, bis ich "Rian's Place", meine Uebernachtungsmoeglichkeit fuer heute, entdecke. Im Gemeinschaftsraum warten gerade mal vier andere Backpacker, ein schmusebeduerftiger Hund und ein sehr gemuetlich prasselndes Kaminfeuer auf mich. Meine Matratze liegt im Dachzimmer unter der Schraege. Von hier oben habe ich einen Blick auf die Bucht. Es hat endlich aufgehoert, zu regnen.






Zwar ist das Wetter am naechsten Morgen noch weit davon entfernt, als "bestaendig" bezeichnet werden zu koennen, aber zumindest zwischendurch kann ich mal die Scheibenwischer ausschalten. In der Tolaga Bay laufe ich ueber (und unter) den laengsten Pier Neuseelands. Zwischen den Traegern des 660 Meter langen Ungetuems brechen die Wellen mit gewaltiger Kraft. Unheimlich (und) beeindruckend.





In Gisborne dann teste ich den “LP Tipp”, das “Cafe 1874”, und muss mal wieder feststellen, dass die im Reisefuehrer hoch gelobten Gastronomiebetriebe zwei Jahre nach der Veroeffentlichung leider selten den beschriebenen Standard aufweisen koennen. Weil heute Montag ist, darf ich umsonst in das Tairawhiti Museum. Die schwarz-weiss-Fotografien aus den 30ern und die Sammlung alter Surfbretter gefallen mir am besten; den "Maori-Kram" habe ich mir inzwischen wirklich sattgesehen. Auf der letzten Etappe goenne ich mir den Besuch der Morere Hot Springs und nehme inmitten eines rauschenden und tropfnassen Urwalds ein Bad im heissen Pool. Das nenne ich mal ein Frei-Bad der besonderen Art. 






Im Riverside Motor Camp bietet mir die lockengewickelte Dame hinter dem Schiebefenster beim Empfang ein Bett im simplen Schlafsaal fuer stolze 27$ an. Nee danke, da schlage ich lieber mein Zelt auf. Meine Ankunft wird skeptisch von den alteingesessenen Wohnwagencampern beaeugt. "Na, das wird aber ganz schoen kalt heut Nacht!" "Joa, kann sein, aber ich hab ja einen dicken Schlafsack", toene ich. Als um halb neun der letzte Sonnenstrahl hinterm Horizont verschwindet, bleibt mir aufgrund fehlender Aufenthaltsmoeglichkeiten und Lichtquellen nichts anderes uebrig, als mich in mein Zelt zu verkriechen und darauf zu warten, dass ich muede werde. "Von wegen kalt", murmele ich. Nur meine Nasenspitze muss den schlaumeierischen Campern leider Recht geben.

Keine Ahnung, wie ich es schaffe, am naechsten Morgen um sieben Uhr aufzustehen, schlotternd durch das taunasse Gras zum Waschhaus zu laufen, fuenf muenzengetimte Minuten kochend heiss zu duschen, ein bisschen was zu fruehstuecken, das Zelt in Rekordgeschwindigkeit abzubauen (das erste Mal ohne Verstaerkung), die 60 Kilometer zum Lake Waikaremoana zu fahren (schon wieder Schotterpiste, och noe!) und dennoch erst um halb zwoelf zum ersten Wandertrack zu starten. Wo ist bloss die Zeit geblieben? 




Der vom Visitor Center empfohlene Weg fuehrt mich eine ganze Stunde bergauf durch dichten Regenwald. Schnaufend stapfe ich vorwaers. Irgendwann bleibe ich stehen, um wieder zu Atem zu kommen und ploetzlich ist da Stille. Ich spuere den Puls in meinen Ohren wummern, lasse ein paar Kiesel unter meinen Schuhen knirschen. Ansonsten: kein Mucks. Selbst die Voegel halten die Luft an. Dann schuettelt meine Regenjacke die tonlose Feuchtigkeit ab und setzt sich zoegerlich wieder in Bewegung. Das Ziel des Weges ist ein kleinerer See, leider zum falschen Zeitpunkt bevoelkert von einer laermenden Schulklasse und ein paar Ruderbootfahrenden Japanern, die mehr Zeit mit dokumentarischer Heititei-Fotografie als mit dem Vorwaertskommen verbringen. Ich stopfe eine Banane und einen Muesliriegel in mich rein und mache mich schnellstmoeglich auf den Rueckweg. 






Nach einer kurzen Fahrt ueber die geliebte Gravelroad entdecke ich das Hinweisschild fuer einen Walk zu "Lou's Aussichtspunkt". Schon von hier unten kann ich die Plattform hoch oben erkennen und sehe mich vor meinem geistigen Auge bereits fluchen. Dennoch: Nach 50 Metern hat sich der Aufstieg bereits gelohnt. Riesengrosse Felsen haengen wie ein massives Dach quer ueber dem Pfad, glatte Kanten, feuchtkalt. Als ich den Stein beruehre, schreckt meine Hand zurueck. Hier waechst Schimmel in seiner wohl schoensten Form: troepfchenblau, eiskalt und pelzig. Weiter geht’s durch Hoehlen, in denen noch nicht einmal meine Taschenlampe besonders weit sehen kann. Die Aussicht von der Plattform schliesslich ist genial. Auf dem Weg zurueck merke ich meine Muedigkeit; bergrunter ist manchmal kaum weniger anstrengend als bergrauf. Ein paar Mal trete ich daneben, knicke um oder verliere das Gleichgewicht. Zeit, aufzubrechen. 









Auf der sich windenden Strasse durch die Berge vor Napier wird mir doch tatsaechlich langweilig – ich hatte schon fast vergessen, wie sich das anfuehlt. Ich komme nur langsam voran, muss ich doch grosse Teile der Strecke hinter ueberlangen Holztransportern hertuckern. Hier habe ich noch nicht mal Radioempfang. Ein kleines bisschen Heimweh kriecht anstattdessen aus den Boxen. Zusammen mit meinen Gedanken an “was war” und “was wird” ist das zweifelsfrei Laermbelaestigung. Demnaechst feiere ich bereits Halbzeit in Neuseeland – ja, sowas, schon ueber vier Monate vorbei! Und dabei war ich noch nicht mal auf der Suedinsel... das muss sich bald aendern!

1 Kommentar:

  1. Hallo Nina! Das war ja ein "mords-langer" blog, bei dem ich fast beim Lesen nasse Füße bekommen habe. Der Bericht vom Regenwald und der langen Pier - beeindruckend. Und wo ist ein Foto vom schmusebedürftigen Hund?
    Für die nächste Zeit wünsche ich dir vor allem mehr Sonne und Wärme! LG deine Mama

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