Fuer die heutige Tour habe ich einiges investiert: 170$ plus etwa nochmal so viel Spritgeld. Weil das Wetter vor anderthalb Wochen, als ich mit Sun in der Naehe der Gletscher war, unter aller Sau war, bin ich die komplette Westkueste einmal rauf und wieder runter gefahren, um ein bisschen Schlechtwetterzeit zu vertroedeln. Nicht sehr oekonomisch, dafuer aber ambinioniert, finde ich. Heute ist es endlich soweit: Strassen- und Wetterdienst haben blauen Himmel und Sonnenschein fuer das ganze Wochenende angekuendigt und ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Um 8.15 Uhr laufe ich zum Tourioffice, um mit Regenhose, -jacke (das ist ja nun wohl nicht noerig, oder?), Handschuhen, Wanderstiefeln, Spikes und sogar Socken ausgestattet zu werden. Ausserdem bekomme ich ein Nummernschild um den Hals gehaengt - mein Identifikationsausweis im Falle einer Notsituation.
Mit dem Bus werden gut 40 blaubemantelte Ausfluegler zum Ausgangspunkt fuer die Tageswanderung auf dem Franz Josef Gletscher gekarrt. Neben dem nahegelegenen Fox und einem Gletscher in Suedamerika ist dies der einzige Ort der Welt, wo Eis und Schnee ganzjaehrig und direkt an den Regenwald ranreichen. Nach einem kurzen schweigsamen Massenmarsch durch den Busch folgt der Moment der Wahrheit: Die Guides wollen uns in drei Gruppen mit unterschiedlicher Laufgeschwindigkeit aufteilen, um zu verhindern, dass der Opi und die Schwangere dem Bundeswehrsoldaten hinterherhinken. Fuer die "schnelle" Gruppe melden sich im ersten Anlauf gerade mal acht Leute. "Come on, guys", versuchen die Guides unseren inneren Schweinehund anzustacheln, "it won't be toooo bad, no worries" (wie oft habe ich das schon gehoert?)... Grundsaetzlich hat man in kleineren Gruppen ja meist mehr Spass, denke ich mir, und ausserdem komme ich dann hoeher hinauf, ins Eis. Nagut, ich melde mich freiwillig, was meinen Guide Nick sichtlich zufrieden stellt. Mit seinen neun Gefaehrten hat er heute Grosses vor, verspricht er. Ich glaube ihm aufs Wort, als er bereits beim Gang durch das felsige Gletschertal ordentlich Tempo macht. Klar, wir muessen ja erstmal einen Vorsprung erreichen.
Nach dem Auftakt-Aufstieg verabschiedet sich dann bereits das erste Paerchen. Die beiden Englaender wollen lieber mehr Zeit zum Fotos schiessen haben und mit einer langsameren Gruppe laufen. Jetzt oder nie, denke ich mir. Entweder du ziehst mit oder du bleibst bei deinem wagemutigen Entschluss. "And then, there were seven", zitiert unser Guide bedeutungsschwanger und nimmt mir die Entscheidung ab.
Als naechstes muessen wir unsere Spikes anschnallen, die uns auf dem Eis Halt geben sollen. "Geht erstmal ein wenig vorsichtiger, breitbeinier als gewoehnlich. Wenn ihr sofort hinfallt, nimmt euch das euer Selbstbewusstsein fuer den ganzen Tag." Oha. Die ersten Schritte sind tatsaechlich ungewohnt und ein bisschen wackelig. Am meisten machen mir aber die gefuehlt drei Kilo schweren Wanderstiefel zu schaffen, die mit unbarmherziger Gleichmaessigkeit an meinen Hacken reiben. Die wollenen Socken sind dabei nicht wirklich von Vorteil. So ein Mist, und ich dachte doch tatsaechlich, es waere schlau, auf meine eigenen Wandersocken zugunsten der erprobten Gletscherware zu verzichten. Nix da, Nina, denke ich mir, Rumheulen ist jetzt nicht, dadurch wird's auch nicht besser...
Ueber ins Eis gehauene Stufen kraxeln wir berg- bzw. gletscherauf. An jedem Handlauf und jeder Seilbruecke muss Guide Nick die Schraubhaken umsetzen, um zu geaehrleisten, dass alles "safe/sweet as" ist. Pro Haken dauert das etwa ein bis zwei Minuten. Wenigstens ein bisschen Zeit zum Verschnaufen, Fotosschiessen und Loswerden diverser Schichten Funktionskleidung. Als erstes schaele ich mich aus der schlecht sitzenden Leihjacke und den Handschuhen. Schon jetzt, um halb elf, scheint die Sonne heftig und warm auf unsere bemuetzten Haeupter.
Die erste echte Herausforderung ist eine flache Aushoehlung im Eis, durch die wir uns auf dem Ruecken liegend durchschieben sollen. Ich ahnte es ja bereits: Jede dieser Touren muss anscheinend einen gewissen Anteil an Mut und Ueberwindung beinhalten. Ich bin als erste an der Reihe. Einmal in der Hoehle, ist die Vorstellung, von Eis umgeben zu sein, ploetzlich gar nicht mehr so bedrueckend. Durch das hellblaue Licht wirken Waende und Decke ueberhaupt nicht einschuechternd oder beklemmend sondern einfach nur surreal schoen.
Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und vor Freude leuchtenden Baeckchen folge ich Nick nun auf Schritt und Tritt - zumindest solange, bis unsere Reinkarnation eines Marathonlaeufers geklont mit einem Schneehasen in einem solchen Tempo durch den Schnee hopst, dass ich nur noch mit Muehe mithalten, geschweige denn eine Unterhaltung fuehren kann. Mit rasselndem Atem hebe ich die inzwischen gefuehlt tonnenschweren Schuhe, die hier im Neuschnee richtig schoen tief einsinken. Trotz des Eispickels, mit dem wir auf halber Strecke ausgestattet wurden, ist es unheimlich muehsam, sich hochzudruecken.
Nach der naechsten Hoehlendurchquerung - dieses Mal ein sechs Meter langer Tunnel mit zirkelkreisrundem Ein- und Ausstieg - merkt Nick endlich, dass er einen Gang runterschalten muss, wenn er seine sieben Gefaehrten behalten will. Zum Glueck stoppen wir wenig spaeter, nachdem wir uns unseren Weg durch einige durchsichtig glitzernden Gletscherspalten gebahnt haben, fuer eine kurze Lunchpause auf einem Schneeplateau. Obwohl ich nicht wirklich grossen Hunger habe, stopfe ich lustlos ein Stueck kalte Pizza vom Vortag und einen Apfel in mich rein und lasse zum Nachtisch einen lockeren Klumpen Schnee auf meiner Zunge schmelzen. Die Eiskristalle sind so scharf, dass ich mir daran fast den Gaumen aufschneide.
Von hier an zeigt sich Nick deutlich entspannter. Ueber Funk hat er durchgegeben bekommen, dass die anderen Gruppen weit hinter uns zurueckgeblieben sind. "So soll es sein", markiert er den Macker. Dennoch will er noch hoeher hinaus. Der aktuelle Gletscherzustand scheint etwas Besonderes zu sein. Das Eis, in das wir hier unsere Spikes und Pickel schlagen, ist maximal 50 Jahre alt, andere Stellen gerade mal wenige Tage. Durch riesige Schneemassen, die 11km weiter oben losgeloest werden, formt sich der Franz Josef Gletscher immer wieder neu. Selbst unser Guide mit zweieinhalbjaehriger Erfahrung auf der sich stetig bewegenden Eismasse gibt zu, dass er ganz heiss darauf ist, sich die neuesten Formationen anzuschauen. Dennoch muessen wir besonders vorsichtig sein, da sich unter der jungfraeulich prudrigen Schneedecke riesige Gletscherspalten, Hoehlen und Abgruende verbergen koennen.
Immer weiter, immer hoeher hinaus kraxeln, kriechen, marschieren wir; beinahe erobern wir sogar die flache Ebene, auf der die Helikopter landen. Eindringlich warnt Nick uns davor, vom Trampelpfad abzukommen oder gar irgendwelche Alleingaenge zu unternehmen. Bevor ich unter einem blaeulich schimmernden Eisbogen fuer ein Foto posieren darf, checkt Nick mit Axt und Pickel, ob alles einsturzsicher ist. Auch meine Lieblingsformation, eine herzfoermige Ausbuchtung im Eis, durch die die Mittagssonnenstrahlen einfallen und den Schmelzprozess unnachgiebig voran treiben, muss erst mal vorsichtig erkundet werden. Nachdem Nick sein "OK" gegeben hat, darf ich hinaufklettern und das wunderschoen vergaengliche Naturschauspiel bewundern. Mein zweitliebstes Motiv sind die Wellen an glitzerndem Schnee, die mit dem schmalen Wolkenteppich am fernen Horizont zu verschmelzen scheinen.
Auf dem Rueckweg nehmen wir die schnellspassige Variante und rutschen auf dem Popo eine Eisbahn runter. Nick hat dabei die groesste Freude, sich ueber meine Koordinationsschwaeche lustig zu machen, waehrend die beiden Englaender uns mit ihrer besonderen Fotopose unterhalten. Wie ich erwartet hatte, ist die Stimmung in einer kleinen Gruppe viel persoenlicher und lockerer - das merke ich vor allem, als wir beim Gang talwaerts auf die "langsame" Japanergruppe stossen, die stumm und schuechtern laechelnd fuer das dreihundertste Victoryfoto posieren. Der andere Guide rollt genervt die Augen und staunt nicht schlecht, als er hoert, wie weit hinauf wir gekommen sind. "Meine Gruppe hat den ganzen Gletscher erkundet", prahlt Nick, "die sind marschiert wie die Weltmeister". Na, das hoert man gern. Bergab bewegen wir uns noch schneller und haben somit noch Zeit, um eine Lawinenschlucht, ein durchloechertes Hoehlensystem und einen Gletscherbach mit glasklarem, Gehirnfrost provozierendem Eiswasser auszuchecken. Gierig trinke ich ohne die Flasche abzusetzen und merke dabei, wie sehr mein Gesicht glueht und meine Beine zittern. Mannomann, das war ein ganz schoen anstrengender Tagestrip - aber mit Sicherheit der beste, den ich hier in Neuseeland gemacht habe. Zufrieden, mir dieses Sahnestueckchen bis zum Schluss meiner Reise aufgehoben zu haben, schaele ich mich aus den durchgeschwitzen Klamotten und den Wanderstiefeln, die von meinen Hacken ein ganzes Stueck Haut mit runterziehen. Ahhhhh, ein herrlicher Schmerz - da weiss man doch, dass man was getan hat!
SO MUSS DAS SEIN ! FAST TRACKING !!!!
AntwortenLöschenWow, Nina, echt stark ;) Super Fotos, ich hab beim Lesen die kalte klare Luft in meine Lungen gespürt. Ich musste Schmunzeln bei deiner Beschreibung der Japaner und etwas schlucken bei dem abgerissenen Hautfetzen :)
AntwortenLöschenToller Bericht!
Hey Nina!
AntwortenLöschenBeim Lesen schnauft und staunt man im Wechsel mit. Da hast du dir ja einiges zugetraut . . . zum Gück hat es sich für dich richtig gelohnt.
Ist die dicke Blase inzwischen wenigstens verheilt?
Gruß, deine Mama
Ich wollte eigentlich deine Erlebnisse kommentieren, bin aber zu abgelenkt von einem gewissen Bild...:D
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