Samstag, 23. Juli 2011

Karamea

In Karamea, dem noerdlichsten Dorf an der Westkueste, ist der Hund begraben.
Koennte man meinen, wenn man auf dem Weg dorthin nicht ein einziges Mal anhaelt, um irgendein tolles Naturschauspiel zu bewundern; wenn man definitiv seine Lebensmittelvorraete aufstocken muss, sofern man nicht unbedingt scharf darauf ist, im Tante-Emma-Laden Brot, Milch und Tomaten zum dreifachen Preis zu kaufen; oder wenn man im Hostel sowohl vom Manager als auch allen drei Wwoofern ueberschwaenglich mit den Worten "Oh wow, we have a guest!" besgruesst wird. Gerade als ich mich frage, ob es sich tatsaechlich gelohnt hat, die 100km Richtung Norden in eine Sackgasse zu fahren, muss ich feststellen, dass der Hund wohl doch von den Toten auferstanden ist. Der schwarzweissgemusterte Herdencollie "Moo" wedelt mir zunaechst freundlich entgegen, schmeisst sich dann aber auf den Ruecken, als Herbergsvater Paul drei Mal laut "peng!" ruft. Grinsend erkunde ich den Rest von Rongos Backpacker. An allen Waenden, auf Staffeleien, Klodeckeln und Tuerrahmen haengt, klebt, baumelt Kunst. Und zwar pippilangstrumpfvillakunterbunte Kunst.  Obendrein gibt es ein kleines Tonstudio, von dem aus auf eigener Radiofrequenz tatsaechlich Programm ausgestrahlt wird. Ohne grosses Trara kann ich direkt meinen MP3-Player anstoepseln und loslegen. Dass meine erste Erfahrung als Radiomoderatorin so aussehen wuerde, haette ich nicht vermutet! Zur Feier des Tages (nochmal auf deutsch: Wir haben einen zahlenden Gast!) kocht der japanische Wwoofer/Hauskuenstler/Strahlemann Shota ein Curry fuer die beiden anderen Zimmermaedchen Karry (Australien) und Claudia (Deutschland) und mich.








Obwohl ich mir nach einer kalten und zugigen Nacht mit undichten Fenstern, einem nur maessig aktiven Heizstrahler und einer laecherlich duennen Decke geschworen hatte, heute weiter bzw. zurueck zu fahren, lasse ich mich im Laufe des Tages doch noch ueberreden, zu verlaengern. Und das kam so:

Weil ich meinen Handywecker im Auto vergessen habe, schlafe ich bis in die Puppen und verpasse somit die "Checkout time" um hoffnungslose 30 Minuten. Nachdem ich auf dem Kuhfleckensessel gefruehstueckt habe, schleppt Shota zwei defekte Gitarren an, aus denen ich eine funktionierende basteln soll. Also: Saiten aus der Gitarre mit dem kaputten Stimmraedchen raus und in die Gitarre mit dem unvollstaendigen Set rein. DANN feststellen, dass letzterer Klangkoerper durch Feuchtigkeit voellig verzogen und nur noch als Feuerholz geeignet ist. Somit: Saiten wieder zurueck und versuchen, das Stimmraedchen zu reparieren. Nach einer Stunde Fummelei entnervt die Brocken hinschmeissen. Immerhin habe ich so waehrend deftiger Regenschauers ein wenig Zeit vertroedelt.
Gegen Mittag breche ich endlich auf, um mir die Kalksteinboegen des Oparara Basins anzuschauen. Begleitet werde ich dabei von Claudia, die froh ist, jemanden mit mobilem Untersatz zu treffen. Ueber eine ziemlich enge und sehr holprige Strasse voller rutschiger Kiesel erreichen wir mit flauem Gefuehl im Magen den Parkplatz beim Moria Gate Arch. Es regnet. Mal wieder. Aber im dichten Blaetterwald ist es ja sowieso dauerfeucht. Durch einen winzigkleinen Hoehleneingang klettern wir in die Kalksteinhoehle und bleiben ehrfuerchtig vor dem grossen Bogen stehen, durch den Licht - aber kein Regen - in den natuerlichen Unterschlupf faellt.
Den 37 Meter hohen Oparara Arch hingegen bemerke ich erst, als Claudia Richtung Himmel deutet - so weit oben schwebt der Kalksteinbogen mit dem schwindelfreien Parasitenbuschwerk. Toll, toll, toll!

im Fluss

Moria Gate Arch

Hoehlenmensch

Oparara Arch

Kalkstein

Am naechsten Tag breche ich dann aber wirklich meine Zelte ab - auf Dauer ist es mir hier einfach zu kalt und ungemuetlich, da koennen die mickrigen Flaemmchen im Holzofen auch nichts dran aendern. In der unattraktiven Stadt Westport stoppe ich kurz bei der Bibliothek (kostenloses Internet), Tankstelle (kostspieliges Bezin) und einem Cafe (koestliches Backwerk), bevor ich die Kuestenstrasse Richtung Greymouth nehme. Innerlich freue ich mich schon darauf, nochmal eine Nacht in meinem Lieblingshostel, dem freundlichen Global Village, zu uebernachten, und auf das vorhergesagte gute Wetter fuer's Wochenende. Langsam klart sogar der Himmel ein wenig auf.
Bei einem Aussichtspunkt entlang der Strecke springe ich wie gewohnt leichtfuessig, mit Kamera und Schluessel in der Hand aus dem Auto, um einen kurzen Fotostopp einzulegen. Aus irgendeinem Grund drehe ich mich dieses Mal noch kurz um - und sehe mein Auto auf den Abhang ueber der Steilkueste zurollen! In einer Millisekunde entscheide ich, dass mir nicht genuegend Zeit bleibt, um die dauerklemmende Fahrertuer aufzuschliessen und die Handbremse (fester?) anzuziehen. Also werfe ich mich mit aller Kraft vor die Motorhaube, um das Fahrzeug zu stoppen. Klappt natuerlich super... Laut fluchend sehe ich im Geiste mein Auto bereits die Klippe ins Meer hinuntersegeln. Doch dann bleibt es - uff, welch ein Glueck - in den Straeuchern haengen, die die letzte Barriere vor dem Abhang bilden. Eine Frau, die drei Meter entfernt am Picknicktisch gesessen hat, ist aufgesprungen und schaut ziemlich geschockt, als ich - unversehrt aber voellig durch den Wind - wuetend wie Rumpelstielzchen um mein Auto huepfe und meinen Frust rausbruelle. Auf meine Bitte, dem Wagen von vorn einen kleinen Stupser zu geben, sodass ich zuruecksetzen kann, ohne dass die Reifen auf dem feuchtschlammigen Untergrund durchdrehen (nein, Fussmattentrick bringt mich hier nicht weiter), reagiert sie entsetzt: "There's no way that I get between your car and the cliff!" Ja, danke, andere Vorschlaege? Ja, die hat sie. Ich solle vom naechsten oeffentlichen Telefon den neuseelaendischen Automobilclub anrufen und mich abschleppen lassen. Okay, ich geb's zu, hoert sich vernuenftig an. Gerade, als wir uns mit ihrem Auto auf den Weg machen wollen, haelt ein weiterer (Katastrophen-)Touri beim Lookout und fragt mich doch tataechlich, ob er ein Foto machen kann. Keine einzige Frage zu meinem Befinden oder das Anbieten von Hilfe! Nicht zu fassen. So selten ich in Stresssituationen genau das Richtige sage oder tue (wenn die Karre rollt, dann rollt sie, mit Maedchenmuskelpower ist da nicht mehr viel aufzuhalten!), dieses Mal platzt die einzig richtige Antwort nur so aus mir heraus: "NO, certainly not! Unless your mobile has reception or you have some good advise how I can get my car out of the dirt, you should better f*** off, you prick!!" Der Vollidiot schluckt einmal, und knipst dann unbekuemmert weiter, so als haette ich ihn eben hoeflich gebeten, die Situation dokumentarisch auf Polaroid festzuhalten. Trotz der kurzen Ueberlegung, den Lackaffen eigenhaendig die Klippe runterzuschubsen, besinne ich mich anders und lasse mich von der anderen Augenzeugin zum Parkplatz bei den Pancake Rocks fahren.
Der AA wiegelt meinen Hilferuf sofort ab ("No breakdown? In that case it's not our responsibility, even though you're a member.") und auch die Versicherung wuerde allenfalls auf meine Kosten ein Abschleppunternehmen herbeordnern ("Sorry, mate, but you only have a third party insurence. Since there is no other car involved, we cannot cover for the costs."). Bevor ich dafuer mein OK gebe, bitte ich mit waessrigen Augen im Umwelt-Center um Hilfe. Und hier treffe ich endlich auf meinen Rettungsengel (dieses Mal nicht ADAC-gelb sondern DOC-gruen). Tim, ein langer, aelterer Herr in Shorts und T-Shirt, stellt keine bloeden Frage. Kurzentschlossen faehrt er mich mit seinem Pickup zurueck zur "Unfallstelle", befestigt ein Abschleppseil an meiner Stossstange und zieht kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Karre aus dem Dreck. Gott sei Dank! Das waere ja ein Spass gewesen, hier draussen zu campen. "Thank you so much, Tim", atme ich erleichtert aus. "You saved my car - and you saved me!"

Vorsatz fuer's neue Jahr!

5 Kommentare:

  1. oh das klingt wirklich ziemlich dramatisch mit dem auto...ich muss ja ehrlich gestehen, dass ich trotz der dreistigkeit des fotogeilen typen ein bisschen auf ein kleines bild der katastrophe im anhang deines berichts gehofft hatte...:)
    wettermäßig scheinen sich der neuseeländische winter und der deutsche sommer jedenfalls in nichts nachzustehen: es gießt in einer tour wie aus kübeln....
    pass auf dich auf liebe nina und komm uns heile wieder zurück! (wann jetzt genau nochmal?)
    Fühl dich gedrückt,
    theresa

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  2. Oh, Nina, du machst ja Sachen! Gut, dass du und Auto unversehrt seid!
    Wann kommst du eigentlich wieder? :)
    Liebste Grüße
    Anna

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  3. Hallo Nina!
    Dein Vater ist, wie du vermutest, von der Radiostation schwer beeindruckt.
    Weniger von der Auto Aktion! Ich auch nicht!. Wir sind heilfroh, das es dir gut geht!!! Dem Auto natürlich auch.
    Was sind wir froh, wenn wir dich wieder unversehrt hier haben.
    Trotzdem, für den Rest deiner Zeit noch alles Gute und wenig Streß! Deine Mama

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  4. Oh Mann, Nina! Was für ein Bericht. Da ist dir aber das Herz in die Hose gerutscht!! Ein Glück, dass alles gut gegangen ist.. und du das Auto jetzt auch noch gewinnbringend losgeworden bist (wie du auf FB geschrieben hast). Ein bisschen hatte ich auch auf ein Foto gehofft... aber klar, dass man in der Situation keine Zeit für solche Späße hat. So ein Lackaffe, der Touri! Ich hätte zu gern deine Gefluche in einem Video gesehen ;)
    Viele liebe Grüße und ein paar schöne letzte Tage,
    Die Isi

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  5. Hallo ihr Katastrophentouristen! Ihr kennt mich wohl zu gut, natuerlich habe ich selbst darueber nachgedacht, ein Foto zu machen, um die Dramatik anschaulich festzuhalten, habe mich dann aber - aus ethisch-moralischen Gruenden (hust hust) dagegen entschieden ;-) Ich bin auf jeden Fall auch heilfroh, dass alles gut ausgegangen ist! So auf den letzten Druecker noch ein Unfall, das muss nicht sein! Ich komme uebrigens am 30. August zurueck nach Deutschland - und freue mich schon wahnsinnig, euch alle wiederzusehen!
    Bis dahin, Kia Ora und allzeit gute Fahrt ;-)
    Eure Be-Schutzengel-te!

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